CD-Tipp

Gustav Jenner: Chamber Music

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AUTOR/IN
Jan Brachmann

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Die Wiederveröffentlichung der erstmals 2005 erschienenen Einspielung mit Kammermusikwerken von Gustav Jenner: Das Trio Martin Litschgi (Klarinette), Nadja Helble (Horn) und Iryna Krasnovska (Klavier) schuf mit dieser Aufnahme beim Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, laut Jan Brachmann, eine kostbare Rarität.

Der deutsche Komponist Gustav Jenner, 1865 in Keitum auf Sylt geboren, darf als der einzige Kompositionsschüler gelten, den Johannes Brahms jemals hatte. Im Jahr 1888 vermittelte der Dichter Klaus Groth, mit beiden befreundet, die Bekanntschaft von Lehrer und Schüler. Und schon bald begann der Unterricht in Wien. Zu den ersten Werken, die Jenner Brahms vorlegte, gehörte ein Trio für Violine, Violoncello und Klavier. Es bildet möglicherweise die Grundlage für das spätere Trio für Klarinette, Horn und Klavier, das jetzt auf einer CD mit Kammermusik von Jenner beim Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm erschienen ist.

 Im ersten Satz des Trios hört man, wie stark sich das Brahms’sche Denken beim Schüler niedergeschlagen hat.Das Hauptthema verarbeitet sich selbst im eigenen Verlauf durch Verknappung eigener Sequenzen, aber über allem liegt der herbstlich milde Ton von Brahms’ Spätwerk. Erstes und zweites Thema haben zwar einen Substanzunterschied, aber kaum noch einen Charaktergegensatz. In der Durchführung wird die motivische Absplitterungstechnik Beethovens nicht genutzt, um Konflikte zuzuspitzen, sondern um den Eindruck weiträumigen Fließens zu erzeugen.

Ein interessantes Paradox von Verfahren und Wirkung: Die Strenge der Verarbeitung erscheint als Freilassen des Materials. Überaus delikat sind die Farbmischungen, die Martin Litschgi an der Klarinette und Nadja Helble am Horn zaubern. Iryna Krasnovska am Klavier nimmt sich dabei sensibel und gesanglich zurück.

Jenner kam, wie gesagt von der Insel Sylt, war in Mühlheim an der Ruhr und später in Plön, in Ostholstein, aufgewachsen. In Wien fand er schnell Anschluss bei der Familie von Richard Fellinger, dem Generaldirektor der Firma Siemens in Österreich. Die Fellingers gehörten zu den engsten Freunden von Jenners Lehrer Brahms. Sie haben den jungen Mann bald wie einen Sohn aufgenommen. Richard Fellinger junior, der Sohn des Ehepaars, hat über diese Jahre das schöne Buch Klänge und Brahms geschrieben, wo er die Erinnerung mitteilt, eines Abends als Halbwüchsiger schon im Bett gelegen zu haben,

 „...als aus dem Musikzimmer eine Reihe Lieder erklang, die mich aufhorchen ließen, da ich, die Textworte nicht verstehend, bei diesen stark packenden und doch lyrischen Klängen die zwingende Vorstellung von Meeresstrand und hohem Wellengang unter dunklen Wolkenzügen empfand, die mir von früheren Sommerwochen an der Ostsee wohlbekannt und viele Jahre das Ziel meiner Sehnsucht waren”.

Wenig später machte Gustav Jenner regelmäßig mit Maria Fellinger und deren beiden Söhnen Sommerurlaub in Misdroy auf der Insel Wollin, der heute polnischen Nachbarinsel Usedoms. Und dort, an der Ostsee, gestand er dem jungen Richard Fellinger, dass das Meer „sein eigentliches Element” sei. Mit etwas Phantasie kann man den ersten Satz von Jenners Klarinettensonate op. 5 hören wie eine Überlagerung zweier Landschaftserinnerungen. Das wiegende Ländlermetrum kann Nachklang der Wanderungen mit Brahms rund um Bad Ischl ebenso sein wie eines Spaziergangs am Strand der Pommerschen Bucht bei milder Luft und ruhiger See.

Ganz ins Lyrische ist die Sonatenform gewendet, voller Kunstfertigkeit und Dichte. Martin Litschgi an der Klarinette und Iryna Krasnovska am Klavier treffen diesen Ton eines früh weise gewordenen Einverständnisses mit der Welt, einer sanften Gesanglichkeit und Gelöstheit, die trotzdem nie langweilig wird. Allegro moderato e grazioso, der erste Satz der Sonate G-Dur op. 5 von Gustav Jenner mit Martin Litschgi (Klarinette) und Iryna Krasnovska (Klavier). Diese kostbare und sympathische Rarität ist erschienen beim Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm.

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Jan Brachmann