Eines der eindrücklichsten – und, wenn ich so sagen darf, auch berührendsten Konzerte der letzten Zeit habe ich vor ein paar Tagen via Livestream aus der Kölner Philharmonie auf meinem Computer gehört.
Seltsame Geisterkonzerte
Das Bach Collegium Japan spielte und sang die Bach’sche Johannespassion und es war eines jener »Geisterkonzerte«, das aufgrund der Coronakrise ohne Publikum auskommen musste.
Vieles war seltsam. Es geht ja nicht nur um den fehlenden Applaus, um das in aller Stille fast unbeholfen wirkende Ritual aus Verbeugungen und Blumenüberreichungen. Fast schmerzlich zu sehen, wie die Musikerinnen und Musiker von der Bühne gehen, ohne jegliches Echo.
Konzerte brauchen Publikum
Es braucht da – bei einer Passion vielleicht ohnehin nicht angemessen – keinen tosenden Applaus, aber es braucht die Gewissheit, dass da jemand ist, der zuhört, wahrnimmt und wertschätzt. Erst diese Abwesenheit macht nun deutlich, was ein Konzert ausmachen kann.
Digital hin und digital her: Ich habe genug Konzerte erlebt, dass ich mir durch Erfahrung gewissermaßen eine »Aura-Prothese« zugelegt habe, mit der ich auch online-Konzerte aufmerksam und mit Freude hören kann. Aber natürlich ersetzt es niemals das Dabeisein.
Es geht um finanzielle Existenzen
Wir werden die Krise hoffentlich irgendwann überstanden haben. Neben der Sorge um die Gesundheit der Mitmenschen, die, und das ist vollkommen klar, absolute Priorität haben muss, habe ich keine geringe Sorge um viele Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde aus der Musikwelt.
„Ob Deutschland wirklich eine „Kulturnation“ ist, wird sich nach der Krise zeigen.“
Nicht jede und jeder ist ein Klassikstar und kann, was sicher sehr schön ist, allabendlich Hauskonzerte via Twitter veranstalten. Lehrbeauftragte an Hochschulen, Musikpädagogen, Leute aus der freien Szene, denen Projekte und Konzerte wegbrechen: für viele geht es in diesen Monaten um die finanzielle Existenz.
Wie steht es um die Solidarität?
Eigentlich ist es hier mein Job, einen kurzen, vielleicht sogar heiteren Gedanken zu spinnen, der irgendetwas mit Musik zu tun hat. Eigentlich müsste ich mich auch um eine gewisse Originalität bemühen, doch ich möchte heute nicht originell sein, ich möchte Sie heute schlicht um Solidarität bitten.
Ob Deutschland wirklich eine »Kulturnation« ist, wird sich nach der Krise zeigen. Wenn es dann »Geisterkonzerte« im anderen Sinne geben sollte – viel Publikum, aber keine Musiker mehr –, dann war es mit der Solidarität nicht weit her.
„Stornieren Sie keine Konzerttickets, auch wenn Sie wissen, dass das Konzert ausfällt.“
Stornieren Sie keine Tickets!
Wir brauchen auch zukünftig nicht nur Leuchttürme, sondern die ganze wuselige und wunderbare Vielfalt kulturellen Lebens. Es gibt viele optimistisch stimmende Signale aus der Politik, dass die Sorgen gehört werden.
Vielleicht können Sie aber auch etwas tun, wenn ich das mal so frech vorschlagen darf. Stornieren Sie zum Beispiel keine Konzerttickets, auch wenn Sie wissen, dass das Konzert ausfällt.
Konzerttickets hamstern
Für diesen Text hier werde ich bezahlt. Ich werde, das verspreche ich, damit Hamsterkäufe tätigen: Nämlich Tickets für ausfallende Konzerte kaufen.
Solidarisch bedeutet, so steht es schon in Grimms Wörterbuch: »was ihn betrifft, geht auch mich an«. Solidarität ist keine Spende und auch keine Unterstützung, sondern einer der wertvollsten und schönsten Wesenszüge, die es gibt. Wenn Sie heute noch Musik hören, bitte denken Sie daran.