Halleluja!
Die Orgel, Königin der Instrumente! Schon wenn man „Orgel" nur sagt, tönt es feierlich! Notre Dame, der Kölner Dom: 64-Fuß-Bombarden-Register, Lippenpfeifen, Zungenpfeifen, Mixturen, überall Mixturen – die Böden beben, die Englein schweben – ach, Königin!
Du bist – wie es sich für eine richtige Monarchin gehört – gelegentlich auch etwas anfällig. Ich war 17 Jahre lang C-Organist in einer Gemeinde im Ruhrpott. Da ist nicht viel mit Königin, da ist maximal Landadel. Wie oft musste ich in deine Eingeweide abtauchen. Hat die Majestät die rechte Temperatur? Schimmelt sie gar da hinten – oder ist sie nur etwas verstimmt? Und wieso klemmt die Mechanik in der Osternacht? In der Osternacht ist Auferstehung dran, nicht Rohrflötenreparatur. Kruzifix nochmal!
Die dunklen Seiten der Arbeit mit der Monarchin
Noch heute schrecke ich sonntags gegen 7:30 Uhr panisch aus dem Schlaf und fürchte, dass ich wieder die Lieder nicht ausgesucht habe. Nicht umsonst wurde mir unlängst eine Post-Orgelstellen-Belastungsstörung attestiert.
Nein… Nicht jeder Orgeldienst war königlich. Da war zum Beispiel „Bernd aus Scherlebeck", der sich mutig „Tenor" nannte und anlässlich einer Hochzeit das „Ave Maria" zum Besten gab. Mittendrin musste er allerdings so übel husten, dass auch keine FFP3-Maske mich hätte retten können. Natürlich war mein „Ritardando" Schuld an seinem Malheur.
Wenn die Baronesse dem Casio-Keyboard-Knecht weichen muss
Überhaupt: „Ave Maria"! Oder, noch schlimmer: „Hallelujah" von Leonard Cohen. Dass der Arbeitsschutz derlei überhaupt erlaubt, ist ein Skandal! Das größte Unheil allerdings, das ist das Neue Geistliche Lied. Stellen Sie sich vor: Da oben steht eine Orgel, okay… keine Königin, aber immerhin eine rüstige Baronesse – und ich schlurfe zum Casio-Keyboard-Knecht mit Einfingerakkordautomatik und begleite Texte wie „Uhu, aha, Jesus Christus ist unser Superstar!" oder so.
Wieso lässt Gott das alles zu, fragte ich mich immer wieder und improvisierte daher zum Auszug 15 Minuten ausschließlich auf einem vollkommen zu Recht verstimmten Gedackt 2-Fuß-Register über Melodiefetzen aus der Bach-Kantate „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen…"
„Die Majestät fehlt mir. 'Es ist ein Ros entsprungen' zu spielen, ganz schlicht mit ein paar Rohrflöten, was gibt’s Schöneres?"
Nein, nicht jeder Orgeldienst war die Krönung der Kunst, ich sagte es schon. Und nun habe ich einen anderen Job und an Weihnachten habe ich erstmals keine einzige Taste gedrückt, kein Pedal getreten. Von Erleichterung: keine Spur.
Die Majestät fehlt mir. „Es ist ein Ros entsprungen" zu spielen, ganz schlicht mit ein paar Rohrflöten, was gibt’s Schöneres? Beim nächsten Weihnachten will ich wieder spielen, egal wo. Es muss keine Königin sein, mir reicht was Bürgerliches aus gutem Hause. Nun ist die Orgel das Instrument des Jahres 2021. Glückwunsch!
„Setzen Sie nicht nur auf die Prachtexemplare!"
Denken Sie bei den Festivitäten auch an jene, die Sonntag für Sonntag – weit entfernt von Ruhm und Notre Dame – die Orgel treten, oft gerade mal für’n Appel und’n Ei. Sagen Sie ihnen mal: „Mensch, das hast du heute schön gespielt!" Und, ganz wichtig – setzen Sie nicht nur auf die Prachtexemplare! Hören Sie der verstimmten Truhenorgel zu, dem namenlosen Dingsbums-Positiv in der Krankenhauskapelle, dem Klappern in der Traktur, dem zarten Hauchen des Blasebalgs. Eine gute Königin kann auch sehr schön flüstern.