Musik für Klavier zu vier Händen: Wer denkt da nicht an Hausmusik, höhere Töchter oder die gute, alte Zeit, als Radio und CD, Internet und Streaming noch nicht erfunden waren. Die neue Aufnahme des französischen Geister Duos aber, die beim Label Mirare erschienen ist, will von solchen Erwartungen nichts wissen. Die beiden jungen Pianisten David Salmon und Manuel Vieillard spielen Musik, die den Bruch mit der klassischen Tradition vollzieht. Claude Debussys „Épigraphes antiques“ schlagen die Brücke zur bildenden Kunst, Igor Strawinskys „Petruschka“ zum Theater und zur Pantomime. Und das Klavier wird dabei zum Instrument der unbegrenzten Möglichkeiten.
Punktierte Gemälde in der Musik
Im sechsten seiner „Épigraphes antiques“, dem „Dank an den Morgenregen“, lässt Claude Debussy die Tropfen rieseln und prasseln.
Die beiden französischen Pianisten David Salmon und Manuel Vieillard vom Geister Duo entwerfen dabei ein pointillistisches Gemälde aus Licht und Farbe.
Lebensnotwendiger Regen
Doch bei allen Wasserspielen erinnert ihre Interpretation auch an ein Ritual, ein Gebet. Geradezu feierlich zelebrieren sie die langsamen Akkordbewegungen.
Das ist im engeren Sinne keine klassische Musik mehr. Denn das Geister Duo betont die Fremdartigkeit dieser Klänge, die in die Ferne schweifen. Am Ende aber stimmen die beiden einen tief empfundenen Dankgesang an: Ohne Regen gibt es kein Leben.
Musikalisches Wimmelbild
Ganz anders geht es zu auf einem Volksfest in St. Petersburg. Mit Igor Strawinskys „Petruschka“ präsentiert das Geister Duo hier einen musikalischen Bilderbogen. Die Menschen wuseln zwischen den Buden des Jahrmarkts, aus allen Ecken ertönt Musik.
So, wie das Geister Duo sie spielt, bietet die Fassung für Klavier zu vier Händen einen echten Mehrwert gegenüber der Orchesterversion. Der fetzige Charakter der Musik, die Collagetechnik mit ihren Patterns erklingt viel trennschärfer.
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Täuschend echtes Arrangement
Die beiden Pianisten imitieren auf den Tasten lustvoll andere Instrumente, zum Beispiel den Leierkasten, die Spielorgel mit Zymbal oder das Pling-Plang der Triangel. David Salmon und Manuel Vieillard vom Geister Duo führen damit ein pianistisches Theaterstück auf. Aber alle szenischen Effekte, auch die pittoresken Klänge, entspringen ganz und gar der Logik des Klaviers.
Das ist die hohe Kunst dieser beiden jungen Musiker, die 2021 den ARD-Musikwettbewerb gewonnen haben. Man hat nie das Gefühl, nur einen Klavierauszug zu hören. Ganz im Gegenteil, wenn man es nicht besser wüsste, würde man diese Fassung für das Original und die orchestrale Ballettmusik für das Arrangement halten.
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Petruschka erliegt dem Säbel
Wenn es zum Zweikampf zwischen dem russischen Kasperl Petruschka und seinem Rivalen um die Gunst der schönen Ballerina kommt, hört man bildhaft das Handgemenge und die Verfolgungsjagd, bis Petruschka geschnappt und niedergeschlagen wird.
Tot liegt er am Boden, aber der Trubel auf dem Jahrmarkt geht weiter, als wäre nichts geschehen.
Strawinsky ohne Verharmlosung
Bei Tänzen wie „Danse russe“ lässt das fabelhafte Geister Duo die Folklore in den Hintergrund treten, es betont dafür die harten Schnitte der Musik.
Strawinskys vielgespielter und manchmal auch verharmloster „Petruschka“ klingt dadurch ungebärdig und modern wie der „Sacre du printemps“. Schockierend wie am ersten Tag, genau so soll es sein.
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La Mer, L 109. 3 Sinfonische Skizzen für Orchester
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1909 sucht der russische Impresario Sergej Diaghilew, der in Paris die legendäre Ballett-Truppe „Ballets Russes“ leitet, einen Komponisten für sein neuestes Projekt „Der Feuervogel“, ein russisches Märchen, das von einem Zaubervogel handelt. Als er seinen 27-jährigen Landsmann Igor Strawinsky fragt, willigt der sofort ein.