Die Cellistin Raphaela Gromes widmet ihr neues Album den Kompositionen von Frauen. Selbst für Expertinnen wie die Booklet-Autorin Susanne Wosnitzka vom Archiv Frau und Musik finden sich dort echte Entdeckungen.
Die unbekannte Vielzahl an Komponistinnen
Die Arbeit an diesem Album begann mit einem Schock – das schreibt die Cellistin Raphaela Gromes im Booklet:
„,Warum nimmst du kein Album mit Werken von Komponistinnen auf?‘, fragte mich vor ein paar Jahren eine gute Freundin. Ich war sofort Feuer und Flamme, musste mir aber eingestehen, dass ich die Komponistinnen, die ich kannte, an zwei Händen abzählen konnte. Also stürzte ich mich in die Recherche und war begeistert und schockiert zur gleichen Zeit: begeistert von der Vielzahl an genialen Komponistinnen, die es seit dem Mittelalter auf der ganzen Welt gegeben hat, und schockiert, weil ich von den meisten von selbst im Musikstudium noch nie etwas gehört hatte.“
Bekanntes und Unbekanntes
Raphaela Gromes hat für ihr Doppelalbum mit dem Titel „Femmes“ ganze Arbeit geleistet. Sie spielt Werke von 23 Komponistinnen. Darunter sind nicht nur Bekanntheiten wie Germaine Tailleferre, Clara Schumann, Nadia und Lili Boulanger, Amy Beach oder Hildegard von Bingen.
Unter anderem hat Gromes auch unbekanntere Künstlerinnen ausgegraben wie Laura Netzel, Cécile Chaminade oder Pauline Viardot-García. Von dieser spielt sie drei Stücke aus den „Six Morceaux“ – hier die „Bohémienne“:
Freundinnen der Musikgeschichte
Mit der Sängerin Viardot-García ist Clara Schumann oft gemeinsam aufgetreten, die beiden waren eng befreundet. Zu ihrer Zeit war Viardot-García eine der berühmtesten Opern- und Konzertsängerinnen in Europa. Ihr kompositorisches Werk umfasst etwa 250 Stücke und ist vielseitig: Klavier- und Kammermusikwerke, Lieder, Stücke für Chor und Klavier und Operetten.
Werke wie die tanzende „Tarantelle“ sind Arrangements, die „Six Morceaux“ hat sie im Original für Geige und Klavier geschrieben. Raphaela Gromes interpretiert das feurige Werk mit großer Energie, aber bleibt dabei in der Tongebung erstaunlich feinsinnig. Mit den Festival Strings Lucerne hat sie in dieser Herangehensweise einen erstaunlich flexiblen musikalischen Partner.
Zur Person: Musikgespräch mit Raphaela Gromes
Inklusive Weltersteinspielung
Mit dem Album zeigt Raphaela Gromes nicht nur eine umfassende Recherche, sondern musikalisch vor allem eine große Vielfalt und enorme Qualität im Werk der ausgewählten Komponistinnen über die Jahrhunderte. Matilde Capuis‘ „Tre Momenti“ für Cello und Streichorchester beispielsweise ist eine bemerkenswerte Komposition, sie ist voller Tiefe und kompositorischer Kreativität. Die Aufnahme ist zugleich die Weltersteinspielung.
Eine weitere Entdeckung auf dem Album ist die „Aria“ der russischen Cellistin und Komponistin Victoria Yagling, die 2011 verstorben ist. Die Komponistin zeichnet darin ein melodisches, melancholisches Thema, das im Fugato verarbeitet wird – sie schafft eine einzigartige musikalische Balance zwischen großer Schwere und hoffnungsgetragener Gefasstheit.
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Mit Zusatz den es nicht gebraucht hätte
Dass sich zwischen all diesen faszinierenden Neuentdeckungen trotzdem arrangierte Arien etwa aus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ oder Purcells „Dido und Aeneas“ oder auch Bizets „Carmen Fantasie“ finden, irritiert. Auch ohne diese insgesamt 15 Minuten Männermusik wären die beiden CDs schließlich voll genug geworden – aber so zeigt sich immerhin beim Hören, wie abgeschmackt auf einmal das Altbekannte wirken kann, wenn man sich doch gerade auf Entdeckungsreise befindet.
Raphaela Gromes‘ Interpretation der Werke ist nicht weniger als mitreißend. Mit dem ersten Ton jedes neuen Stückes gehen die Ohren ein Stück weiter auf – genau das, was sich die Zuhörerin im Jahr 2023 von einer Album-Neuerscheinung wünscht.
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