Musikgespräch

Filme, die zu Zeugen machen – Musik und Politik beim Mannheimer Festival „The Look of Sound“

Stand
INTERVIEW
Katrin Rabus
MODERATOR/IN
Malte Hemmerich
ONLINEFASSUNG
Dominic Konrad

Ein guter Musikfilm klingt noch lange nach, findet Katrin Rabus. Sie leitet das Mannheimer Musikfilm-Festival „The Look of Sound“, das in diesem Jahr unter dem Motto „Musik und Politik“ steht. Durch den Ukraine-Krieg haben die Filme teilweise besondere Aktualität gewonnen. Aber auch die Zeit des Nationalsozialismus wird aus neuen Blickwinkeln eindringlich beleuchtet.

Audio herunterladen (15,9 MB | MP3)

Eine Plattform für mehr Sichtbarkeit von Musikfilmen

In Zeiten von Krieg in Europa ist das Musikleben auf einmal wieder politisch geworden. Aus diesem Grund dreht sich in diesem Jahr bei der 20. Ausgabe des Musikfilm-Festivals „The Look of Sound“ alles um das Thema Musik und Politik.

Thematisch hat das viele Gestalten. Die Filme des diesjährigen Festivals beschäftigen sich unter anderem mit der Jazz-Szene im Amerika der 1930er-Jahre im Kampf gegen die Rassentrennung, einem zwölfjährigen Geiger im Untergrund gegen die Nazi-Besatzer in der Ukraine, oder dem musikalischen und politischen Vermächtnis von Iannis Xenakis.

Erstmals sind die Filme des Mannheimer Festivals bei freiem Eintritt für jedermann zugänglich. Man verstehe sich auch als Diskussionsforum, sagt Katrin Rabus, Leiterin von „The Look of Sound“. Wichtigen Filmen solle eine Plattform geboten werden, da sie ansonsten im Kino oder Fernsehprogramm gerne einmal untergehen oder im Nachtprogramm unter dem Radar versendet werden.

Klassik unterm Hakenkreuz – Musikalische Täter und Opfer

Einer der Filme, die sie am meisten bewegt haben, das verrät Katrin Rabus, sei „Klassik unterm Hakenkreuz – Der Maestro und die Cellistin von Auschwitz“. Das Thema Nationalsozialismus mag vielleicht abgedroschen klingen, so die Festivalleiterin, aber es bleibe sehr wichtig. Denn der Film mache uns zu Zeugen der Gräuel und gebe uns eine Chance gegen das Vergessen, während die letzten Zeitzeugen langsam versterben.

Der Film porträtiert die heute 97-jährigen Anita Lasker-Wallfisch, die als jüdische Cellistin im Frauenorchester des KZs Auschwitz-Birkenau spielen musste. Ihrem Schicksal stellt der Film von Christian Berger die Karriere des Dirigenten Wilhelm Furtwängler gegenüber, der unter Hitler und Goebbels zum bedeutendsten Dirigenten Deutschlands avancierte.

Was sie sehr bewegt habe, erinnert sich Rabus, ist die Stimme der befreiten Lasker-Wallfisch in Bergen-Belsen. Die Aufnahme sei so nah und unmittelbar, dass man meinen könnte, es sei eine moderne Sprachaufnahme. Doch dabei handelt es sich tatsächlich um den Originalton der BBC aus dem Februar 1945.

Anita Lasker-Wallfischs Radioansprache im Originalton

Audio herunterladen (4,1 MB | MP3)

Nach dem Schauen des Films soll die Musik im Kopf bleiben

Generell gibt es keine strikten Kriterien, nach denen die Filme für „The Look of Sound“ ausgewählt werden, erklärt Katrin Rabus. Die Musik müsse nach dem Sehen des Films als zentraler Aspekt im Gedächtnis bleiben. Im Fokus stehe immer die Frage, wie man die ästhetische Frage lösen könne, im Film musikalische Bilder zu evozieren.

Der Filmemacher und Bühnenregisseur Axel Ranisch versuche etwa, in seinem Film „Orphea in Love“ die Geschichte des Orpheus-Mythos mit 400 Jahren Operngeschichte zu verknüpfen. In Ranischs Film sind die Rollen vertauscht. Orpheus ist eine Frau und arbeitet als Gardobiere in der Oper. Eurydike ein Mann. Der Eingang zur Unterwelt liegt in einer Straßenunterführung.

Eine Gratwanderung zwischen Realität, Traum, Erinnerung und Phantasie. Katrin Rabus lobt vor allem die musikalische Ästhetik dieses Autorenfilms.

Trailer „Orphea in Love“, offizieller Kinostart 1. Juni 2023

Sind Musikfilme heute politischer?

Dass Musikfilme im Allgemeinen heute politischer seien als vor 20 Jahren, findet Katrin Rabus nicht. Es habe immer wieder Filme gegeben, die in diese Kategorie gepasst hätten.

Aber tatsächlich nähmen Filme die Frage der politischen Haltung von Musiker*innen aktuell sehr ernst. Wir beurteilen Künstler heute immer stärker danach, wie sie sich politisch positionieren, stellt Rabus im Gespräch fest.

Ein Beispiel hierfür sei „Mein Rachmaninow – Sergey Tanin in der Villa Senar“. Der junge Pianist Sergey Tanin besucht im Film die Rachmaninow-Villa Senar am Vierwaldstättersee und taucht in die Welt des großen russischen Komponisten und Pianisten ein. Seit dem Ukrainekrieg lebt Tanin fernab der Heimat, wie auch Rachmaninow, der den Großteil seines Lebens im Exil verbrachte.

Mehr verwandte Themen

Gespräch Vom Hören und Sehen – Der Regisseur und Podcaster Axel Ranisch

Axel Ranisch ist als Opern- und Filmregisseur, Schauspieler, Autor und Podcaster auf vielen Bühnen präsent. Seine Leidenschaft gilt der klassischen Musik.

SWR2 Tandem SWR2

Stand
INTERVIEW
Katrin Rabus
MODERATOR/IN
Malte Hemmerich
ONLINEFASSUNG
Dominic Konrad