Album-Tipp

Die Orgel als Meer: Iveta Apkalnas „Oceanic“

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AUTOR/IN
Hannah Schmidt

Auf der neuen CD der lettischen Organistin Iveta Apkalna dreht sich alles um das Meer. „Oceanic“ heißt die CD, mit zeitgenössischen und klassischen Werken, mit dabei das Stavanger Symphony Orchestra. Hannah Schmidt hat die CD gehört und ist besonders von einer Ersteinspielung von Bernd Richard Deutsch angetan: Es sei in seiner Tonsprache und Orchestrierung eines der innovativsten, das in den letzten Jahren uraufgeführt wurde. Und Iveta Apkalnas Interpretation auf diesem Album setze dieser Musik zusätzlich eine Krone auf.

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Flüssige Toccata

Beim ersten Ton von Ēriks Ešenvalds' „Voice of the Ocean“ – „Stimme des Ozeans“ – denkt man sofort an Bach. Denn der Bezug, den der Komponist Ēriks Ešenvalds hier aufmacht, ist ganz eindeutig. Er zitiert die d-Moll-Toccata von Johann Sebastian Bach, das wohl bekannteste Orgelwerk überhaupt – sogar die Tonart stimmt.

Der berühmte Triller in dieser vollen Registrierung erzeugt bei den Hörer*innen spitze Ohren, es klingt wie eine Fanfare. Sofort ist die Aufmerksamkeit da, auf deren Boden Ešenvalds seine musikalischen Gedanken ausbreitet. Fließende, weite Akkorde, streichende Klänge, schwebende Dissonanzen und ganz tiefe Atemzüge.

„Triptychon“ – Iveta Apkalna spielt Bach, Liszt und Vasks

Widmung an Apkalna

Die Organistin Iveta Apkalna hat Ešenvalds' Stück vor neun Jahren in der Kathedrale von Riga uraufgeführt, der Komponist hat es ihr gewidmet. Für die Aufnahme spielt sie es an der Orgel des Stavanger Konserthus zusammen mit dem Stavanger Symphony Orchestra.

Dieser Ozean, den Ešenvalds hier beschreibt, ist gewaltig und majestätisch – selbst unter dem leisen Plätschern im Flötensolo im Mittelsatz ist immer die Tiefe zu hören, die schweigend vor sich hin wogt, die zu schlafen scheint wie ein Drache. Ihre unvorstellbare Kraft glüht hier in Form tiefer Prinzipalregister hinter einem verschlossenen Schwellwerk.

Iveta Apkalna lässt den Klang des großen Instruments mit dem des Orchesters regelrecht verschmelzen, ohne ihn dabei zu verstecken – bestimmte Frequenzen lässt sie immer bis zur Oberfläche durchschimmern, seien es silbrige Höhen oder das profunde Fundament des Basses.

Aufnahme von „Voice of the Ocean“ mit Apkalna und dem hr-Sinfonieorchester

Ešenvalds & Deutsch vs. Sibelius & Ravel

Auf ihrem Album stellt Iveta Apkalna zwei zeitgenössische Werke zwei klassischen Kompositionen gegenüber: Ēriks Ešenvalds' Orgelkonzert steht Seite an Seite mit Bernd Richard Deutschs viersätzigem „Okeanos“ für Orgel und Orchester.

Dazwischen spielt das Stavanger Symphony Orchestra unter Leitung von Andris Poga Jean Sibelius' „The Oceanides“ opus 73 und den dritten Satz aus Maurice Ravels „Miroirs“, „Une barque sur l’océan“ – „Ein Boot auf dem Ozean“.

Wasser, Erde, Feuer, Luft

Die Musikerinnen und Musiker verleihen den musikalischen Erzählungen rund um den Ozean eine große Natürlichkeit, hörbar zelebrieren sie das Gefühl, die Musik fließen lassen zu können und sich von ihr mitreißen und wiegen zu lassen.

Eine echte Entdeckung auf dem Album ist Bernd Richard Deutschs „Okeanos“: Jeden Satz widmet der Komponist einem der vier Elemente. Keine wahnsinnig progressive Idee zwar, aber in der Kombination aus Orgel und Orchester doch etwas Neues.

Wütender Planet

Die Erde ist auf dem Album ein mächtiges, beinahe wütendes, aufbegehrendes Element, das vor Kraft nur so strotzt. Lang gehaltene dissonante Akkordtürme im Tutti, unter denen das Schlagzeug wirbelt – erst später erheben solistische Instrumente im zweiten Satz ihre Stimme, begleitet von fiependen Obertönen aus der Orgel oder einem tiefen Flüstern der tiefen Register.

Über dieses Konzert lässt sich Iveta Apkalna im Booklet begeistert zitieren: Es sei „Das beste zeitgenössische Orgelkonzert überhaupt“ – zwar unfassbar schwer zu spielen, aber jede Mühe und jede Note wert.

Hannah Schmidt kann bestätigen: Es ist in seiner Tonsprache und Orchestrierung auf jeden Fall eines der innovativsten Alben, das in den letzten Jahren uraufgeführt wurde. Und Iveta Apkalnas Interpretation auf diesem Album setzt dieser Musik zusätzlich eine Krone auf.

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Hannah Schmidt