Kommentar

Keine einzige Komponistin: Die Biennale der Berliner Philharmoniker

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Albrecht Selge
Albrecht Selge (Foto: Pressestelle, Reza Jan Mansouri)

Fortschritt frauenfrei? In Berlin blasen große Männer den Staub von der Musikgeschichte, Frauen wischen bloß die Notenpulte. Ein Kommentar zur Biennale der Berliner Philharmoniker ohne Komponistinnen von Albrecht Selge.

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Achtzehn Tage Festival ohne eine einzige Komponistin

Es ist wieder was passiert. Zum einen was Tolles: „Neue Musik“ läuft gerade prominent. In der Elbphilharmonie wird zehn Tage lang „Musik für das 21. Jahrhundert“ gespielt, von Lachenmann bis Rebecca Saunders.

Etwas retrospektiver geht‘s in Berlin zu, hier widmen sich die Philharmoniker zweieinhalb Wochen lang schwerpunktmäßig den 1950er und 60er Jahren, im Mittelpunkt steht György Ligeti, der seinen 100 Geburtstag feiert Der ist ja eigentlich längst ein Klassiker wie Beethoven und Brahms, es muss sich nur noch allgemein herumsprechen. Gut, wenn die „Biennale“, so heißt das Berliner-Philharmoniker-Festival, dem Hörerglück (dem Glück des Publikums, dann wären wir bei dem Thema nicht nur maskulin) auf die Sprünge hilft! 

Es ist aber auch etwas nicht so Tolles passiert, ebenfalls in Berlin: Achtzehn Tage Festival ohne eine einzige Komponistin. Darauf hat das Musikmagazin VAN kritisch hingewiesen. Gewiss ist das tatsächlich passiert, ohne bösen Vorsatz. Eher noch aus Angst, nach Corona zweifelt man, ob man die Bude wieder vollkriegt. Da findet man sich mit Ligeti schon waghalsig genug. Und dann auch noch – Frauen? Drohen da nicht gähnend leere Säle?

Offenbarung statt Zumutung

Darüber kann man schon den Kopf schütteln: nicht nur, weil aktuelle Debatten über Parität oder zumindest Sichtbarkeit ignoriert werden. Sondern mehr noch, weil das Publikum unterschätzt wird. Das ist oft neugieriger oder zumindest geduldiger, als ihm unterstellt wird.

Und selbst, falls man darauf nicht vertrauen mag: Spielen die Philharmoniker mit Petrenko oder Rattle zum Abschluss des Konzerts Debussys „La mer“, wird der Saal so oder so voll. Da kann man vorher schon was zumuten. Dass es gar keine Zumutung ist, sondern vielleicht sogar eine Offenbarung wird, stellt das Publikum bei guter Programmplanung dann meist allein fest.

Nun aber transportiert die Philharmoniker-Biennale mehr vom Geist der 50er, als ihr lieb sein kann: Männer blasen den Staub von der Musikgeschichte fort, Frauen wischen die Notenpulte. Da gibt’s Fakten: Im damaligen Zentrum der Avantgarde, bei den Darmstädter Ferienkursen, lag in jenen Jahren die Frauenquote der aufgeführten Werke bei sagenhaften 0,7 Prozent! Das geht aus Zahlen hervor, die die amerikanische Komponistin Ashley Fure aus Darmstädter Archiven hervorkramte.

Meisterinnenwerke längst erschlossen

Dem etwas entgegenzustellen, wäre genau die kuratorische Herausforderung. Die Komponistin Ursula Mamlok wurde im selben Jahr wie Ligeti geboren, 1923 – in Berlin! Die Ligeti-Schülerin Unsuk Chin ist alles andere als ein Publikumsschreck.

Kompositionsaufträge an großartige lebende Komponistinnen. Oder einfach verdrängte Meisterinnenwerke, die durch Pionierinnen wie das „Archiv Frau & Musik“ längst erschlossen und katalogisiert sind. Man muss die Kataloge nur durchstöbern.

Ein Gutes hat’s immerhin, was den Berlinern hier unterlaufen ist: Nochmal wird das nicht passieren.

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Ein Preis, der ausschließlich an Komponistinnen vergeben wird, den gibt es weltweit nur einmal – zumindest behauptet das die Stadt Heidelberg, die genau einen solchen Preis vergibt, nämlich den Heidelberger Künstlerinnenpreis. In diesem Jahr wir der Preis an die Iranerin Farzia Fallah verliehen, die bereits zahlreiche Stipendien und Ehrungen erhalten hat. Martina Senghas war bei einer Probe dabei und hatte Gelegenheit mit der Komponistin zu sprechen.

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