Das gemeinsame Musizieren im Musikverein schweißt Menschen zusammen – ob bei der Probe, beim geselligen Beisammensein oder beim Konzert. In kaum einem Land gibt so viele Musikvereine wie in Deutschland. Die Ursprünge der ließen sich auf die Französische Revolution zurückführen, erklärt Heiko Schulze von der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände.
Ursprung in Frankreich
Gerade Bläsermusik ist ab 1789 zu einem Markenzeichen der Revolutionäre in Frankreich geworden. Einerseits wird dadurch die Beziehung zum Militär deutlich. Auf der anderen Seite kann man sich so klar von der Hofmusik des Ancien Régime abgrenzen. Blasmusik wird zu einem Teil des bürgerlichen Selbstverständnisses. Und diese Idee schwappt dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch nach Deutschland über.
„Und neben dem Sinfonieorchester in den Konzertsälen oder den entstehenden Opernhäusern, die ja auch in der bürgerlichen Musikwelt Einzug erhalten haben, brauchte dann die Landbevölkerung, die arbeitende Bevölkerung, natürlich auch eine musikalische Ausdrucksform.“
Etablierung in Deutschland
Nach den Wirren der napoleonischen Kriege steht in Deutschland das „Wir“-Gefühl ganz hoch im Kurs. Im Zuge des Wiener Kongresses von 1815 entstehen in Deutschland zahlreiche Musikvereine. Man musiziert zusammen, man feiert zusammen, man hält zusammen. Die rechtliche Grundlage dazu bietet das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794.
Grundgedanke ist der freiwillige Zusammenschluss von Menschen – es können übrigens auch mehr als drei sein – mit einem bestimmten Ziel: hier eben das gemeinsame Musizieren.
Kurzum: der Musikverein ist vor allem aus dem ländlichen Raum nicht mehr wegzudenken. Keine Einweihung des neuen Schützenhauses ohne Blasmusik, keine feierliche Eröffnung eines Bahnhofs, kein wirtschaftliches Überleben der örtlichen Gastwirtschaft ohne feucht-fröhliche Vereinsabende. Und die Damen mussten damals noch selbstverständlich draußen bleiben.
„Wenn sie sich die Gründungsfotos der damaligen Orchester anschauen, dann sehen sie dort stramm gekleidete Männer im besten Alter. Da war von Diversität und von Generationenausgleich noch längst nichts zu finden. Das war Männer-dominierte Blechbläsermusik.“
Organisation der Musikvereine
Die Musikvereine finanzieren sich damals vor allem über die Mitgliedsbeiträge. Dazu kommen die Einnahmen von Konzerten und anderen Auftritten. Öffentliche Zuschüsse wie heutzutage etwa im Rahmen des Neustart-Programms der Bundesregierung – so etwas gibt es im 19. Jahrhundert noch nicht.
Gespielt wird alles an Repertoire, was nicht niet- und nagelfest ist. Neben Schlagern und Gassenhauern auch Stücke, die wir heute als „Kunstmusik“ bezeichnen würden.
In Uniformen im Gleichschritt
Oft leiten ausgebildete Militärmusiker die Musikvereine. Das führt dann zu einem gewissen Maß an Zucht und Ordnung: die Musiker tragen Uniformen und marschieren im gleichen Schritt wie ihre Kollegen beim Militär. Ihre Waffen sind allerdings ausschließlich ihre Instrumente.
Dennoch sind bei den Vereinsabenden im 19. Jahrhundert auch immer mehr nationalistische Töne zu hören. Dabei ist das deutsche Vereinsrecht von damals unmissverständlich: die Vereine dürfen sich nicht politisch engagieren.
„Fakt ist aber, wenn ich einer Institution zugeordnet bin, wie z.B. einer Partei-nahen Gruppe oder sogar einem Kämpferbund, dann war das politische Statement ganz klar. Die meisten Vereine aber, die sich damals gegründet haben, so meine Einschätzung, denen ging es um die Musik und die Pflege der Musik und um die Freude an der Musik.“
Lebendiges Abbild der Gesellschaft
Auch heute noch sind Musikvereine ein lebendiges Abbild der Gesellschaft. Sie stärken das Gemeinschaftsgefühl, sie bereichern Feste und Umzüge mit ihrer Musik. Sie sorgen gerade im ländlichen Raum für die Pflege der regionalen Musiktradition und kümmern sich um den musikalischen Nachwuchs. Und das alles inzwischen schon seit über 200 Jahren.
Und nicht zu vergessen: manche Dorfkneipe hätte ohne den ortsansässigen Musikverein sicher schon längst ihre Türen für immer geschlossen.