Er ist tief verwurzelt im japanischen Zen-Buddhismus: Im 8. Jahrhundert begann sich Shōmyō als fester Bestandteil von Zeremonien buddhistischer Schulen zu etablieren. Bis heute wird der Gesang zur Rezitation heiliger Texte wie Sutren eingesetzt, gilt aber auch selbst als eine Form der meditativen Praxis.
Es klingt fast wie ein gregorianischer Choral
Der Shōmyō-Gesang ist tatsächlich sehr ähnlich aufgebaut, stammt allerdings nicht aus Europa, sondern aus dem Herzen Japans. Shōmyō – das ist ein buddhistischer Ritualgesang, der zur Heian-Zeit (794–1185) in Japan aufkam.
Besonders auffällig ist, wie ähnlich die musikalische Grundlage zur Gregorianik ist. Das ist faszinierend, denn aufgrund geographischer Entfernungen konnten sich die beiden Stile nie gegenseitig beeinflussen.
„Hyakuji-no-ge“, Aufnahme 2004
Eine „Wissenschaft des Tons“
Das Wort shōmyō (声明) kommt aus dem Chinesischen, hat seine aber im Sanskrit, Der Begriff sabda-vidya (शब्दविद्या) meinte man die Wissenschaft des Tons. Von Buddhismus und zeremonieller Vokalmusik also erst einmal keine Spur in der Namensherkunft.
Das liegt daran, dass Shōmyō zur Heian-Zeit in Japan für die Lehre der Phonetik und Grammatik stand und die buddhistischen Zeremonien noch bonbai genannt wurden. Erst später etablierte sich Shōmyō als Sammelbegriff für buddhistische Ritualgesänge.

Ursprünglich ein Gesang zur Rezitation buddhistischer Sutren
„Der Buddhismus beeinflusste nicht nur das Geistesleben der Japaner, sondern in ausgeprägtem Maße auch Kunst, Kunsthandwerk, Architektur, Druckkunst und Literatur“, erzählt Shōmyō-Experte Korun Arai über die buddhistischen Gesänge.
Die Melodien sollen chinesischen oder indischen Ursprungs sein. Zusammen mit den buddhistischen Lehren und Praktiken gelangen die Melodien im 6. Jahrhundert über China nach Japan. Zunächst wurde Shōmyō hauptsächlich zur Rezitation buddhistischer Schriften verwendet, entwickelte sich im Laufe der Zeit aber zu einem eigenständigen rituellen Gesang.
Das „Mantra des Mondlichts“
Im 8. Jahrhundert begann sich Shōmyō als fester Bestandteil von Zeremonien verschiedener buddhistischer Schulen zu etablieren. Seitdem hat der Ritualgesang eine reiche und vielfältige Tradition in Japan entwickelt.
„Shōmyō ist wie eine Brücke zwischen der irdischen und der göttlichen Sphäre – die Töne scheinen aus einer anderen Welt zu kommen.“
Die Melodien erfüllen verschiedene Funktionen im buddhistischen Ritual
Der Gesang wird einerseits zur Rezitation heiliger Texte wie Sutren eingesetzt. Andererseits gilt er selbst als eine Form der meditativen Praxis. Durch die meditative Wirkung soll ein veränderter Bewusstseinszustand erreicht werden.
„Shōmyō ist nicht nur ein Weg, buddhistische Lehren durch Gesang zu übermitteln, sondern eine spirituelle Praxis, die dem Praktizierenden hilft, Erleuchtung zu erlangen.“
Kennzeichnend für Shōmyō ist die Klangästhetik und Gesangstechnik. Die Melodieführung zeichnet sich durch viele gleitende Tonsprünge und charakteristische Verzierungen aus. Der einstimmige oder mehrstimmige Gesang erfolgt ohne instrumentale Begleitung. Das ist auch wieder ein Zeichen für eine Parallelentwicklung zur Gregorianik.
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Die Sinnsuche trieb Olaf Nölke nach Japan, wo er durch die schmerzhafte Schule des ZaZen ging, des tagelangen Sitzens. Später leitete er als Abt ein buddhistisches Kloster. Heute sagt er: "Der Mond leuchtet in jeder Pfütze."
Die Silben der einzelnen Wörter werden allerdings viel mehr auseinander gezogen. Der Text ist dadurch nicht mehr richtig verständlich und der Fokus liegt auf der Melodie. Seit einigen Jahren entdecken moderne Komponisten wieder die traditionelle Musik des Shōmyō für sich. So entstehen neue Werke unter dem Einfluss des japanischen Traditionalismus, etwa von Toshio Hosokawa.
Musik und Glauben sind im Buddhismus eng verbunden. Um die Besonderheiten und Wirkungen von Shōmyō zu verstehen, muss der Gesang immer in seinem rituellen Kontext betrachtet werden. Trotz seiner langen Tradition bleibt der Ritualgesang auch heute eine lebendige und relevante Praxis innerhalb verschiedener buddhistischer Schulen Japans.
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