Spätestens seit es Interpreten wie Antoine Tamestit oder Nils Mönkemeyer gibt, ist die Zeit der Bratschen-Witze endgültig vorbei. Und das ist gut so. Zur Weltspitze der Bratschisten gehört auch der junge Engländer Timothy Ridout. Der kam zu seinem Instrument, weil ihm sein Musiklehrer in der Schule auf der Bratsche ein Thema aus der Verfilmung von „Harry Potter“ vorspielte. Jetzt widmet er sich dem berühmten Cellokonzert seines Landsmanns Edward Elgar.
Anders als gewohnt
Eine Bratsche spielt den Beginn des legendären Elgar-Cello-Konzerts. Diese Doppelgriffe! Dieses Moll-Timbre! Wer denkt bei dieser Aufnahme nicht an Jacqueline du Prè? Aber was hat die Bratsche hier eigentlich zu suchen? Und hilft es wirklich, dass diese Transkription mit dem Segen des Komponisten entstanden ist?
So viel Melancholie, so viele Fragenzeichen! Der junge britische Bratschist Timothy Ridout ist das, begleitet vom BBC Symphony Orchestra unter Martyn Brabbins. Ganz schön kess, sich auf seiner zweiten CD gleich mal mit dem Elgar-Konzert zu präsentieren. Denn die Welt hat das Konzert anders im Ohr, sonorer, mit mehr Unterleib, wenn man so will – und nicht so von der Blässe des 20. Jahrhunderts angekränkelt, wie Ridout es spielt und versteht.
Eine Bratsche die auch wie Geige oder Cello klingen kann
Im zweiten Thema aus dem Kopfsatz des Elgar-Cellokonzert geht es ein bisschen mehr zur Sache, da merkt man, dass Timothy Ridout das kann. Dass er auf seiner Bratsche einen Ton hat, der zwar britisch ist und bleibt, aber auch das Weite sucht, Wärme, Leidenschaft, Helligkeit, der mal wie eine Geige klingt, mal in der Tat wie ein Cello. Ridout ist 27, kommt aus London und wollte als Kind immer nur singen. Bis die Bratsche in sein Leben trat, was für ein Glück!
Es war eine gute Idee, den jungen Timothy Ridout und das BBC Symphony Orchestra unter Altmeister Martyn Brabbins zu kombinieren. Ridout mit seiner Idee eines sehnigeren, weniger romantischen Elgar-Tons, und Brabbins mit seiner Erfahrung.
Der zweite Part des Albums
Das zweite Werk auf der CD ist eine Originalkomposition für Bratsche, Ernest Blochs „Suite für Viola und Orchester“, ebenfalls von 1919, wie das Elgar-Konzert – aber hören Sie mal auf diese Farben! Hier muss man Richard Strauss‘ „Salome“ denken, die ganze Schwüle eines imaginierten Orients!
Im zweiten Satz wendet Bloch das ins Groteske. Allegro ironico, so lautet die Satzbezeichnung, und Timothy Ridout hat hörbar Spaß an den extraschiefen Harmonien, all den rhythmischen Grimassen, dem knarzenden Bogen. Drei Fassungen gibt es von Blochs Suite, mit Orchester, mit Klavier und eine für Cello. Heute könnte man, was das Exotische in der Musik betrifft, von kultureller Aneignung sprechen. Timothy Ridout spielt es eher mit Anführungsstrichen, als Zitat, und das ist klug.
„Land der Sonne“ sollte der vierte Satz der Suite ursprünglich überschrieben sein, aber das hat Ernest Bloch dann doch lieber getilgt. Jetzt steht da einfach „Molto vivo“. Und molto vivo spielen Timothy Ridout und das BBC Symphony Orchestra dieses Finale auch, mit Verve, Temperament und Zärtlichkeit. Musik nach der Katastrophe des 1. Weltkriegs? Würde man kaum denken.
Musikstück der Woche Elgars Enigma-Variationen mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie und Paul Goodwin
Freunde zu sammeln wie Trophäen – die sozialen Netzwerke machen es vor. Vor über 100 Jahren hat das schon Edward Elgar getan. Er legt eine Freundesliste an in Form von 14 Variationen, in denen er seine Freunde porträtiert.