Die letzten Takte erklingen, ein kurzer Moment herrscht Stille, dann tobt der Applaus und die Zuhörer*innen erheben sich von den Sitzen. Ein Erlebnis, das vor allem Dirigent*innen erleben, die Komponist*innen kommen nur hin und wieder bei den Uraufführungen in den Genuss. Komponist*innen erleben laut Gordon Kampe ein anderes „Wir“ als die Dirigent*innen, doch zu viel „Wir“ muss es auch nicht unbedingt sein, denn es hat seine Tücken.
Wir sind gefährlich
Erst vor ein paar Tagen war es wieder so weit: Vorstellung beendet. Ensemble und Dirigent*in treten vor den Vorhang, Orchester steht auf – Komponist*in wird gerufen und darf sich zum Applaus mit einreihen. Leider bin doch ein bisserl eitel und muss gestehen: Das hat mir gefallen!
Meistens wurschtel ich ganz alleine vor mich hin und da ich leider, leider nicht jeden dritten Abend eine Uraufführung haben kann, stehe ich auch nicht dauernd auf der Bühne. Ungefähr so, denke ich dann, muss das wohl sein – und das ist wirklich mein erster letzter Fußballvergleich – wenn man als Team im Elfmeterschießen gewinnt.
Komponist*innen, die am liebsten für Menschen schreiben, brauchen andere „Wir’s“, die unser Zeug spielen – sonst bleibt die Küche kalt. Auch die dollsten Dirigent*innen wären nur schrullige Luftzerteiler, wenn sich das Kollektiv gegenüber verweigerte. Dieses „Wir“ ist also gerade in meinen Berufsstand immer wieder – und immer wieder anders – essenziell.
Zu viel „Wir“?
„Yo, wir schaffen das!“ „Yes, we can!“ Von Bob, dem Baumeister bis Barack, dem Präsidenten wird das „wir“ gerne und immer wieder gefährlich nah am Kalenderspruch paraphrasiert. Jedoch... von zu viel „Wir“ wird meinem „Ich“ manchmal etwas schwindelig.
Ich höre es noch wie gestern. Es war in meinem allerersten Kompositionsunterricht und gar nicht bös‘ gemeint: Ein als „zu gerade“ empfundener Rhythmus sollte etwas unregelmäßiger werden, weil „wir“ das heute nun mal so machen. Das irritierte den damals 18-jährigen und machte ihn, der keine Ahnung von gar nix hatte, sauer.
Der 46-jährige lächelt trotzig und fragt sich: Ja, wer ist denn dieses Wir, das mir sagt, wie man „es“ macht und gibt’s das überhaupt? Der Individualist, der aber bitteschön nicht mit einem Egoisten verwechselt werden möchte, wird gelegentlich nervös, wenn das „wir“ so drängt, dass das „ich“ seinen Wert verliert. Ich werde hochnervös, wenn sich neuerdings wieder Gruppen unversöhnlich gegenüberstehen, die, wenn sie „Wir“ sagen, damit aber eigentlich „Ihr nicht“ meinen.
„Tutti-Wir“
Das „Wir“ ist schön und gut – und wird dann bekanntlich gefährlich, wenn’s zur Meute wird. Weder Wolfsrudel noch Ameisenstaat sind mein Ideal. – Als Optimist glaube ich aber, ein gescheites „Wir“ kann funktionieren! Und die Lösung, wie sollte es anders sein, zeigt die Musike!
Aber suchen Sie mal auf YouTube die letzten Aufnahmen Claudio Abbados mit dem Lucerne Festival Orchestra. Die Mahler-Sinfonien etwa oder Debussys La Mer. Immer wieder lädt er mit freundlichen Gesten der linken Hand das „Tutti-Wir“ ein, den Individuen zuzuhören. Und wie er und das Orchester lächelt, wenn dem Individuum ein Solo wieder besonders toll gelingt! Das ist unglaublich schön, schauen Sie sich das mal an. Ich weiß, ich bin eine Kitschnudel. Aber... so ein „Wir“, das könnte mir schon gefallen.
Glosse Gordon Kampe: Texte, Texte, Texte statt Musik – Ein Albtraum
Markus Lanz an der Gambe erweist sich als Traum, doch Gordon Kampe war froh, mal keine Worte zu hören. Die Musik mal sprechen lassen und nicht immer nur texten, das ist ein weiterer Traum. Besonders schlimm, ist das Texten für Drittmittelanträge, ein Albtraum, mit dem sich vor allem wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen rumschlagen müssen.