Musikmarkt: Hörbuch-Tipp

Christian Thielemann: „Meine Reise zu Beethoven“

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Manchmal legt er den Taktstock beiseite und äußert sich schriftlich. Schon einmal hat der Dirigent Christian Thielemann in Buchform Stellung bezogen. Das war vor acht Jahren, als er einen Band zu Richard Wagner veröffentlichte. Jetzt meldet er sich abermals ausführlich zu Wort – mit einem Buch, das den Titel trägt: „Meine Reise zu Beethoven“. Gleichzeitig liegt eine ungekürzte Hörbuch-Version vor, gelesen von Frank Arnold. Thielemanns Beethoven-Parcours folgt Christoph Vratz.

„Beethoven hat mein gesamtes musikalisches Denken geformt. Weil er mich vor Entscheidungen stellt.In der Beschäftigung mit Beethoven sehe ich, wer ich bin (das ist nicht esoterisch gemeint!), und muss Farbe bekennen. Beethoven wirft Interpretationsfragen auf, deren Antworten nicht nur Konsequenzen für die Musik haben, sondern fürs Leben.“

Christian Thielemann macht nie einen Hehl daraus, wie groß sein Respekt vor Ludwig van Beethoven und seiner Musik ist. Der Dirigent und die Suche nach dem fast Unmöglichen: eine Synthese aus Tradition und Moderne, Analyse und Emotion, Rezeption und Interpretation.

„Die Kriterien für meine Entscheidungen kommen aus meiner Erfahrung. Und ein bisschen aus Lust und Laune. Das mag jetzt willkürlich klingen, ist es aber nicht.“

Auf rund 270 Seiten erzählt Thielemann seine „Reise zu Beethoven“. Die Route richtet sich vor allem entlang der neun Sinfonien, die der Dirigent in ihrer chronologischen Reihenfolge ins Zentrum rückt. Doch er sucht immer auch Nebenschauplätze auf: die Solokonzerte, die Säle, in denen er Beethoven dirigiert hat, die unterschiedlichen Notenausgaben, Beethovens Taubheit. Das klingt zunächst wie ein kunterbuntes Gemisch. Das ist es auch, aber nicht willkürlich. Ebenso wehrt sich Thielemann dagegen, dass es nur ‚einen‘ Beethoven geben kann.

„Beethoven war so ein sensibler Zeitgenosse, ein Seismograph, warum hätte er seine Musik für alle Zeiten festklopfen wollen?“

Das klingt nun arg allgemein, aber Thielemann wird gerade bei der Beschreibung der neun Sinfonien immer auch konkret. So schreibt er etwa über den Übergang vom dritten zum vierten Satz in der Fünften:

„Dieser Übergang ist für mich der atmosphärische Tiefpunkt der Symphonie. Dreifaches Pianissimo, liegende Töne in den Streichern, vielsagendes Pochen in der Pauke, große Nervosität, das restliche Orchester schweigt. Dann Nebelschlieren in den ersten Geigen, die Bässe pochen mit, es verdichtet sich, schraubt sich in die Höhe und entlädt sich schließlich in ein achttaktiges Crescendo, das attacca und wie auf einer Raketenabschussrampe ins Schluss-Allegro führt.“

Christian Thielemann hat nicht alles selbst geschrieben, und dass dieses Buch so anschaulich und plastisch geworden ist, dass das Ganze sprachlich für jede und jeden jederzeit gut verständlich ist, liegt wohl an der Unterstützung durch die Musikjournalistin Christine Lemke-Matwey. Oft gibt sich Thielemann sehr offen, manchmal argumentiert er etwas knapp, was angesichts der Themen, die er antippt, auch nicht verwundern kann. Selbstkritik nicht ausgeschlossen:

„Ich habe Beethoven lange als sehr monumental empfunden. Doch da lag ich falsch. Und gerade am Anfang habe ich ihn sicher zu monumental interpretieren wollen. Ich hatte gute Absichten, aber wahrscheinlich habe ich erst jetzt das Maß gefunden, mich an gewissen Stellen zurückzuhalten, um das Monumentale an anderen besser ausspielen zu können.“

Dies ist kein Buch, das vom Promi-Bonus lebt. Thielemann zeigt einen perspektivisch vielseitigen Weg zu Beethoven, und bei manchen Positionen mag man zum Widerspruch ansetzen wollen, doch es ist eben ‚sein‘ Weg zu Beethoven; außerdem erzählt Thielemann gern, wie einige Kollegen zu Beethoven gefunden haben: Karajan, Furtwängler, Kleiber.

„Der deutsche Klang beginnt bei Beethovens Ich. Beethoven ist der erste Komponist, der sich von den Fesseln der Tradition befreit, indem er sein Ringen damit in Töne setzt. Beethoven reflektiert, was er tut, und er lässt uns daran teilhaben. Das hat eine objektive Seite – die Beherrschung der musikalischen Regelwerke, der Konventionen – und eine subjektive: das Künstler-Ich in seinem Veränderungswillen.“

Neben dem im Beck Verlag erschienen Buch mit dem Titel „Meine Reise zu Beethoven“ (Kosten 22 Euro), ist der vollständige Text auch als Hörbuch erschienen – beim Audio-Verlag auf einer mp3-CD, mit Frank Arnold als Sprecher. Er ist ein umsichtiger Gestalter, der die Gedanken dieses Buches klug vermittelt. Schade nur, dass die Hörbuch-Fassung so ganz ohne Musikbeispiele auskommt.

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