Buch-Tipp

15 Zugänge zur Musik: Carolin Pirichs Buch „Das Vorspiel“

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AUTOR/IN
Jan Rittertstaedt

Was ist eigentlich Musik genau? Über diese Frage haben sich schon Generationen und von Musikerinnen und Musikern die Finger wund geschrieben. Jetzt ist eine weitere Hand dazugekommen: Musikjournalistin Carolin Pirich nähert sich dem Thema in „Das Vorspiel“ in 15 lose zusammenhängenden Berichten, unter anderem von Joana Mallwitz, Igor Levit und David Garret.

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Vorspiele: So geheim wie eine Papstwahl

Ein Vorspiel kann in der Musik einmal eine komponierte Einleitung sein. Ein Vorspiel kann aber auch über die Karriere eines Musikers oder einer Musikerin entscheiden. Dann heißt es Probespiel.

Ausrichter sind professionelle Orchester, die einen neuen Mitspieler oder eine neue Mitspielerin suchen. Für Carolin Pirich genau wie für mich ein eher undurchsichtiges Verfahren.

Carolin Pirich such die Magie der Kunstform Musik

Carolin Pirich ist Musikjournalistin. Sie darf beim Probespiel des Konzerthausorchesters mit dabei sein. In ruhigen, mal sachlichen, mal bildreichen Worten beschreibt sie den inneren Zustand dreier Kandidaten vor dem Showdown.

Sie haben sich auf eine Orchesterstelle als Kontrabassist oder Kontrabassistin beworben. Nur einer oder eine bekommt den Job. Dieses Kapitel des Buches liest sich wie ein emotionaler Krimi. Für mich klar der fesselndste Teil des Buches.

In 15 inhaltlich lose zusammengefügten Kapiteln versucht sich Carolin Pirich an die Musik heranzutasten, aus ganz verschiedenen Perspektiven. Sie möchte der Magie dieser Kunstform näherkommen, aber auch deren Schattenseiten offenlegen. Nicht wissenschaftlich-systematisch, nicht allumfassend theoretisch, sondern mit alltäglichen Geschichten und plastischen Bildern.

Igor Levit (2019) (Foto: IMAGO, snapshot)
Was bleibt, wenn die Musik verklungen ist? Neben seiner Musik-Karriere ist Pianist Igor Levit auch politischer Aktivist, hier bei einer Demo 2019.

Beobachtungen über Musik am Rande eines improvisierten Konzerts

Diese Frage stellt Carolin Pirich bereits im ersten Kapitel ihres Buches. „Das Konzert“ steht darüber. Die Autorin schildert darin die Rahmenhandlung: ein mehr oder weniger improvisiertes Konzert auf einer Insel im Tegeler See in Berlin. Sie selbst hat es organisiert und muss sich mit allerhand Widrigkeiten und Problemen herumschlagen.

Im Zentrum aber stehen die Musikerinnen und Musiker mit ihren Gedanken, Erfahrungen und Erlebnissen mit der Musik. Neben Stargeiger David Garrett nimmt auch der Pianist Igor Levit ein ganzes Kapitel ein:

Joana Mallwitz dirigiert beim Festakt der Thüringer Landesregierung zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt (2014) (Foto: IMAGO, VIADATA)
Gefragte Dirigentin der jüngeren Generation: Joana Mallwitz, hier beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit in Erfurt 2014.

Es schimmert immer auch ein Stück Zeitgeist durch

Die Texte für dieses Buch sind in den vergangenen 10 Jahren so oder in veränderter Form bereits in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Ich finde Carolin Pirichs Schreibstil klar, schnörkellos, auf das für sie Wesentliche fokussiert. Das macht die Lektüre auch für musikalische Laien sehr angenehm.

Mit direkter Kritik oder Ironie hält sich die Autorin eher zurück. Neben der Klassik-Prominenz kommen aber auch weniger bekannte Musikerinnen und Musiker zu Wort. So etwa die Dirigentin Joana Mallwitz:

Das Konzert mit Joana Mallwitz und dem Bayerischen Staatsorchester wird nie stattfinden. Die Corona-Pandemie hat das verhindert. Immer schimmert auch ein Stück Zeitgeist durch Pirichs Annäherungen an die Musik durch.

Spannender Einblick mit Lücken

Trotz aller Vielfalt der Perspektiven: ich vermisse in diesem Buch ein paar Dinge: Von Vokalmusik ist so gut wie gar nicht die Rede, auch nicht vom weiten Feld der Kirchenmusik. Den großen Bereich der Alten Musik streift Pirich nur am Rande. Dafür kommt immerhin die zeitgenössische Musik vor, allerdings nicht etwa aus der spannenden Sicht der Komponistinnen und Komponisten.

Carolin Pirichs Buch bietet dennoch insgesamt einen spannenden Einblick in das Musikbusiness, in das Leben und Tun von Musikerinnen und Musikern und ihre sehr unterschiedliche Beziehung zum so schwer fassbaren Phänomen „Musik“.

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Rezension von Judith Reinbold,
S. Fischer Verlag, 300 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-446-26960-6

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Jan Rittertstaedt