Album-Tipp

Boris Giltburg: Klavierkonzerte von Sergei Rachmaninow

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Christoph Vratz
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Sebastian Kiefl

Das Label Naxos ist dafür bekannt, dass es einen extrem breit angelegten Repertoire-Katalog pflegt. Man setzt dort nicht auf glamouröse Stars, sondern auf Musikerinnen und Musiker, die eher in der zweiten Reihe stehen. Zu den Ausnahmen zählt Boris Giltburg. Er ist zwar kein Glamour-Künstler, aber ein Pianist, der einen Platz in der ersten Reihe verdient, wie seine bisherigen Aufnahmen immer wieder gezeigt haben. Jetzt veröffentlicht er eine Einspielung mit Klavierkonzerten von Sergei Rachmaninow.

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Zukunftsweisendes Opus 1

Es trägt die symbolträchtige Opus-Zahl eins, und in der Tat, mit seinem ersten Klavierkonzert op. 1 findet Sergei Rachmaninow zu einer Tonsprache, die bezeichnend ist für alle seine späteren Werke. Virtuosität einerseits, vielfältige Formen der Melancholie andererseits und ein Melos, bei dem man sofort erkennt: Das kann nur Rachmaninow sein.

Boris Giltburg hat in den letzten Jahren nicht nur Solo-Alben mit Rachmaninows Préludes und Etüden veröffentlicht, sondern 2017 und 2018 auch die Konzerte Nr. 2 und 3 eingespielt, mit dem Royal Scottish National Orchestra.

Boris Giltburg spielt Rachmaninows 3. Klavierkonzert bei der Queen Elisabeth Competition 2013

Man wunderte sich zurecht, dass die beiden fehlenden Konzerte Nr. 1 und 4 sowie die Paganini-Rhapsodie außen vor blieben. Nach größerer Pause liegen diese Werke jetzt (endlich) vor, allerdings mit einem anderen Orchester und anderem Dirigenten. Bei diesem Album spielen Brüssels Philharmoniker unter Vassily Sinaisky an Giltburgs Seite. 

Gelungener musikalischer Spagat

Dass Giltburg als ein technisch in allen Belangen versierter Pianist gelten darf, ist keine neue Erkenntnis. Er spielt flexibel im Anschlag, kraftvoll, aber nie kraftmeiernd, dazu gesellt sich eine hohe Beweglichkeit.

All das stellt er auch bei dieser Einspielung unter Beweis und wieder sind auch jene Qualitäten zu hören, die schon seine früheren Rachmaninow-Alben ausgezeichnet haben. Giltburg besitzt einen siebten Sinn für die Zwischentöne dieser Musik, für den ständigen Spagat zwischen Eleganz und Morbidität.

Auch Dirigent und Orchester überzeugen

Die Gefahr bei Rachmaninow ist oft, dass die Musik übertrieben wirkt: zu traurig, zu süß, zu salonhaft. Nichts davon hört man im vierten Klavierkonzert: Jede Note besitzt einen Ernst, die nicht nur etwas von Rachmaninows Scheu verrät und von seiner Schwermut, sondern vor allem etwas von seiner inneren Zerbrechlichkeit. Dem stellt sich oft etwas Trotziges entgegen oder auch eine nassforsche Verspieltheit, die einem vorkommt wie ein Perpetuum mobile bei Windstärke 4.

Die Philharmoniker aus Brüssel bewältigen den Orchesterpart souverän, ohne dabei einen eigenen spezifischen Ton zu entwickeln. Womit sie unter Sinaiskys Leitung aber besonders überzeugen können, ist das wunderbar austarierte Zusammenspiel mit dem Solisten, nicht nur rhythmisch, auch dynamisch, gerade an heiklen Übergängen.

Paganini-Rhapsodie

Heikle Übergänge gibt es vor allem in der Paganini-Rhapsodie. Boris Giltburgs Spiel besitzt hier Zug nach vorn, Verve, Leichtigkeit und Tiefsinn zugleich. Die Kunst bei den teils nur wenige Sekunden langen Variationen besteht darin, sich chamäleonartig an die jeweiligen Verhältnisse anzupassen. Das gelingt Giltburg auf herausragende Weise.

So steht am Ende ein rundum positives Fazit. Rachmaninow, wie man ihn sich wünscht, uneitel und wandlungsfähig, nah an den Abgründen des Melancholischen und beglückend in den Momenten des Lichts. 

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