Nachschlagewerk in zwei Bänden von Bernd Stremmel

Beethoven - Band 1: Orchestermusik und Vokalwerke / Beethoven - Band 2: Klavierwerke und Kammermusik

Stand
AUTOR/IN
Christoph Vratz

Buch-Tipp vom 27.12.2018

Seit einigen Jahren gibt es im Internet eine Seite (Klassik-Prisma), die vielleicht dem einen oder anderen Musik-Hörer bekannt ist. Dort werden Werke der Musikgeschichte in loser Folge aufgelistet und die wichtigsten Aufnahmen vergleichend bewertet. Dahinter steckt nicht die CD-Industrie, sondern ein Privat-Mann, Bernd Stremmel von Beruf Lehrer mit dem Hobby der Klassischen Musik. Nun hat er seine jahrelangen Hörerfahrungen in einem Doppel-Band veröffentlicht. Diese beiden Bücher widmen sich ausschließlich einem einzigen Komponisten: Ludwig van Beethoven.

Anschauliche Werkeinführungen wie diese versteht jede und jeder. Kein Wunder, richten sich diese Bemerkungen doch vor allem an Musikliebhaber und nicht in erster Linie an Experten. Doch bilden diese Erläuterungen nur den Auftakt zum eigentlichen Anliegen dieses Buches. Ein Großteil der Werke von Ludwig van Beethoven soll hier anhand von vergleichend gehörten Schallplatten- und CD-Aufnahmen vorgestellt werden. Im Vorwort schreibt Autor Bernd Stremmel:

Bewertung mit Punktesystem

Bernd Stremmel liefert eine weitreichende Erfassung und Bewertung der in rund hundert Jahren entstandenen Aufnahmen von Beethovens Werken. Dafür hat der Autor ein Punktesystem entwickelt, mit der Bestnote 5. Mit diesen seiner Ansicht nach fesselndsten Einspielungen beginnt er seine Auflistung zu jedem Werk, danach folgen in absteigender Punktefolge weitere zentrale Aufnahmen. Jede Produktion wird erfasst nach Name des Interpreten, Spieldauer, Aufnahmejahr und Label. Gesondert geführt werden Interpretationen mit historisch-informierter Aufführungspraxis, unterteilt nach Einspielungen mit modernen und Originalinstrumenten.

Das Beispiel der „Appasionata“-Sonate soll Stremmels Vorgehen verdeutlichen. Fünf Punkte bekommen beispielsweise Artur Schnabel, Rudolph Serkin, Friedrich Gulda und Fazil Say. Bei einigen der genannten Pianisten gibt es stichpunktartige Erläuterungen. Zu Schnabel etwa heißt es:

Zu Artur Schnabels Einspielung aus dem Jahr 1933 bleiben die Ausführungen (wie zu den meisten Einspielungen) sehr knapp. Bei einigen anderen Pianisten jedoch findet man statt der Anmerkung einen kleinen Pfeil. Der deutet darauf hin, dass der Autor im Anschluss an seine Liste noch ausführlichere Bemerkungen vornimmt. Dort heißt es dann etwa über Friedrich Guldas Appassionata-Aufnahmen:

Wichtigste Kriterien: Tempo, Notentexttreue, Atmosphäre

Dieses Beispiel zeigt, welche Kriterien dem Autor für seine vergleichenden Analysen besonders wichtig sind: Tempo, Notentexttreue, Atmosphäre. Stremmels Sprache ist einfach und verständlich, präzise, sachlich und nie blumig, mitunter ein wenig schlicht, aber nie plakativ. Auf beschreibende Bilder verzichtet er zu großen Teilen. Die Urteile sind meist kurz und von hoher Präzision. Über das Ausmaß an Subjektivität gibt es nichts zu streiten, denn jede Hör-Erfahrung kann nur Richtschnur sein, nie TÜV-Siegel mit Verbindlichkeit. Es versteht sich von selbst, dass man nicht allen Urteilen zustimmen kann und möchte – aber das ist auch nicht der Sinn dieser Publikation.

Fundierte Orientierung

Zwei Bände hat Bernd Stremmel vorgelegt. Der erste bezieht sich auf Orchestermusik und Vokalwerke und umfasst mehr als 500 Seiten, der zweite Band widmet sich auf 260 Seiten der Klavier- und Kammermusik. Bislang hat es auf dem Buchmarkt noch nie eine solch ausführliche Würdigung von Aufnahmen zu einem einzigen Komponisten gegeben. Insofern stellen diese Bücher für jeden leidenschaftlichen Musikhörer und Beethoven-Freund eine Besonderheit dar: Sie wecken Neugierde und Lust am Hören, sie verlocken zum vergleichenden Hören und animieren zum genauen Hin-Hören – und schärfen nicht zuletzt die eigene Meindungsbildung. Der Leser bekommt fundiert Orientierung, wenn er sich nicht entscheiden kann, welcher Sinfonien-Zyklus von Karajan der spannendste ist und welche Streichquartette in wegweisenden Aufnahmen für das 21. Jahrhundert vorliegen.

Buch-Tipp vom 27.12.2018 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt-Klassik

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Christoph Vratz