Das Handbuch „Komponieren für die Stimme“

Von Monteverdi bis Rihm

Stand
AUTOR/IN
Chistoph Vratz

Buch-Tipp vom 17.05.2017

Die Ausgangslage ist einfach. Das thematische Feld mit einigen zentralen Fragen wird schon im Vorwort klar umrissen.

So schlicht das Thema auf den ersten Blick erscheinen mag, so heterogen, so kompliziert, so vielschichtig stellt es sich bei genauerem Hinsehen dar. Das weiß natürlich auch Stephan Mösch, Herausgeber dieses neuen Handbuchs „Komponieren für die Stimme“; daher strebt er von vornherein keine Vollständigkeit an, sondern aussagekräftige Fallbeispiele, er möchte Entwicklungen aufzeigen, Tendenzen, Entwürfe, und gegebenenfalls auch Gegenentwürfe. Schon im ausführlichen Einführungstext ist der Leser gefangen, wenn Mösch an konkreten Beispielen zeigt, wo und wie sich das Komponieren für Stimme als Lern- und Entwicklungsprozess oder sogar als "Kompositionskritik" verstehen lässt:

Doch es ist nicht allein die Tonart, mit der sich Verdi auf Rossini bezieht, es ist vielmehr die Behandlung der Singstimme:

So wie das neue Handbuch lediglich an exemplarischen Beispielen übergreifend Phänomene erklären kann, ist es auch in dieser Kritik nur möglich, einzelne Beobachtungen herauszugreifen – denn zu groß, zu umfassend, zu fundiert sind die einzelnen Beobachtungen und Analysen.
Stephan Möschs Handbuch gliedert sich auf knapp 400 Seiten in zwei Teile. Der erste – Entwicklungen und Perspektiven – enthält vier (überwiegend chronologisch historische) Kapitel mit jeweils vier Aufsätzen. Dem Herausgeber ist es gelungen, zu jedem Thema, zu jedem Komponisten die jeweiligen Koryphäen als Autoren zu gewinnen, darunter Silke Leopold zu Claudio Monteverdi, Thomas Seedorf zu Mozart oder Uwe Schweikert zu Verdi. Mösch selbst widmet sich Richard Wagner. Am Ende seiner (wiederum sehr konkreten) Untersuchung kommt er zu dem Ergebnis, dass Wagners Figuren ihrer Herkunft nach ganzheitlich gedacht sind und so in sich gefestigt erscheinen. Andererseits sind sie zugleich:

Der zweite Teil des Buches besteht aus Gesprächen mit Komponisten der Gegenwart, darunter John Adams, Helmut Lachenmann, Aribert Reimann, Wolfgang Rihm und Jörg Widmann. Dadurch erhält der historische Schwerpunkt des ersten Teils ein Gegengewicht im Hier und Jetzt. So lassen sich einige musikgeschichtliche Entwicklungen und ästhetische Aspekte des "Komponierens für die Stimme" noch einmal ganz anders betrachten. Dieses Buch lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. Es ist in Anspruch und Umsetzung herausragend, es ist eine entschiedene Absage an jede Form von Oberflächlichkeit oder Vereinfachung. Dieses Handbuch, das nicht eine, sondern mehrere Lektüren vom Leser erforderlich macht, ist der Beweis, dass auch in heutiger Zeit fordernde, vielschichtige und sehr differenziert argumentierende Publikationen noch möglich sind.

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Chistoph Vratz