„Geh mal Bier hol'n“

Nur scheinbar schlicht? Warum sich Ballermann-Schlager und Kunstlied näher sind als gedacht

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AUTOR/IN
Michael Rebhahn

Sie heißen Peter Wackel oder Mickie Krause, Ikke Hüftgold oder Ingo ohne Flamingo: die Stars eines musikalischen Genres, das als „Ballermann-Schlager“ einen zweifelhaften Ruf genießt. Der Münchner Komponist und Musiktheoretiker Simon Mack hat sich davon nicht abschrecken lassen und der vermeintlichen Seichtheit einer Revision unterzogen. In seinem Youtube-Kanal zeigt Simon Mack eindrucksvoll, dass der Weg vom Ballermann-Hit zum Kunstlied gar nicht so weit ist.

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Der „Partyschlager“ — ein verkanntes Phänomen?

Ende der 90er Jahre ist es so weit: Der gute, alte Schlager wird von findigen Produzenten generalüberholt und auf eine spezifische Zielgruppe abgestimmt. Sogenannte „Partyschlager“ bringen jetzt Feierwillige in balearischen Großraumdiscos in Wallung.

Als seelenloses Geballer und Gegröle wird der „neue Schlager“ schon rasch geschmäht, sein Image ist nicht sonderlich gut.

„Geh mal Bier hol'n“: Nur scheinbar schlicht!

Aber worum geht es in dieser Musik, die sich ja auch als eine Kunst der Reduktion begreifen ließe: überschaubare Formen und Metren, schnörkellose Melodien und Texte, die sich nur scheinbar schlicht geben.

Dabei tauchen auch hier die großen Themen auf, die existenziellen Erschütterungen, die Hinterfragung der Conditio humana. So, wie in dem Song „Geh mal Bier hol'n“ von Mickie Krause, in der das lyrische Ich die Suche nach der Schönheit anspricht.

Es geht um die Sehnsucht nach Schönheit und Jugend – stets fragil im bittersüßen Moment zwischen Versagung und Erfüllung, gesetzt in ein denkbar unprätentiöses Melos.

Mickie Krause ins Fin de siècle gesetzt

Dem Münchner Komponisten und Musiktheoretiker Simon Mack ist das allerdings nicht genug. Er sieht in den Zeilen von Mickie Krause viel mehr: eine ebenso verheißungsvolle wie beunruhigende Expressivität, Anklänge an Schnitzler oder Hoffmannsthal womöglich, aufgehoben im Kolorit des Fin de siècle. Und dementsprechend hat sich Simon Mack an eine andere Melodie für Mickie Krauses Text gewagt.

Wo Mickie Krause die Unabwendbarkeit in eine schlichte Kadenz fasst, unternimmt Simon Mack einen Versuch des Entkommens, bevor auch seine Melodie in ihr Zuhause findet.

Was heißt „Hulapalu“?

Am Ende muss es doch sein — so groß die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, nach der „Blauen Blume“ oder dem „Zauberwort“, das alles zum Singen bringt, auch sein mag. Andreas Gabalier weiß um ein solches Wort — kennt aber seine Bedeutung nicht; er vermag es auszusprechen, ohne zu wissen, was er sagt.

Auch der vorsichtig tastende Sänger in Simon Macks Version scheint nicht zu wissen, was dieses geheimnisvolle „Hulapalu“ meint. Aber dennoch hat er es unbeschwert auf den Lippen, und letztlich scheint ihm der Gang ins Abenteuer reizvoller als die Frage nach dem Sinn. 

Saufen im barocken Stil

Wo bei Andreas Gabalier noch eine Ambiguität beansprucht wird — die Bedeutung des „Hulapalu“ bleibt im Dunkeln —, liegt das Objekt des Begehrens im Lied von Ingo ohne Flamingo denkbar offen.

Ingo ohne Flamingo will saufen — sich betäuben, sich den Weltläufen im Dämmerschlaf entziehen. Dass Simon Mack sich in seiner Version des Lieds für das Gefäß der barocken Arie entscheidet, mag mit deren formaler Strenge zu tun haben. Wo keine Aussicht auf Tröstung mehr ist, wo allein das Sich-Ergeben bleibt, gibt Simon Mack dem Sänger einen letzten Halt im Gerüst der Musik.

Die lichte Klarheit des Satzes kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Protagonist sein Heil im Unheil sucht: im laufenden Hahn, diesem verhängnisvollen Quell, der in der scheinbar mühelosen Mechanik der Begleitstimme seine Entsprechung findet. Was aber ist, wenn der Hahn stoppt — oder gar dreimal kräht?

Zehn nackte Friseusen in der Zweiten Wiener Schule

Erneut ist es Mickie Krause, der zwischen flagranter Provokationslust und geradezu Mallarméschem Symbolismus changiert. Um dieser Stimmung kongenial gerecht zu werden, hat sich Simon Mack bei seiner Neuvertonung für eine musikalische Umgebung entschieden, die gleichermaßen eine gewisse Abgründigkeit in sich trägt: für die irisierende Klangwelt der Zweiten Wiener Schule.

Der „Partyschlager“ — ein verkanntes Phänomen? Erst recht, was die textliche Ebene anbetrifft. Denn wo in anderen Popgenres findet sich eine Sprache, die unter einer vermeintlich banalen Oberfläche derartige Brüche aufweist? Simon Mack hat den ersten Schritt getan, um dem zu Unrecht geschmähten Genre zu neuer Anerkennung zu verhelfen.

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Michael Rebhahn