Buch-Tipp

Dieses Buch ist eine echte Neuheit: „Der schwule Opernführer“

Stand
AUTOR/IN
Bernd Künzig

So einen Opern-Schmöker zum Nachschlagen hat es bislang noch nicht gegeben: In pinkem Einband kommt “Der schwule Opernführer“ daher – und überzeugt SWR-Opernkritiker Bernd Künzig fast auf der ganzen Linie.

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Es gibt ihn endlich: den ersten schwulen Opernführer. Sicher zum Leidwesen einer deutschen Großkritikerin, die ja bereits vor einigen Jahren in einem unrühmlichen Artikel ein Verschwörungsszenario der Operntunten entwickelte, bei dem schwule Seilschaften ganze Häuser und die kritische Szene unter Kontrolle bringen. Dass Schwule Opern lieben und deren Aufführungen oft begeistert besuchen, gehört mittlerweile zu den lästigen Klischees des Musiktheaters. Aber in der Tat ist die Oper seit rund vierhundert Jahren ein Ort des Andersseins.

Durchlässige Geschlechtervorstellungen

Normal ist das sicher nicht, wenn die emotionalen Lagen in den höchsten Tönen besungen werden, Kastraten Heroen verkörpern und Frauen in Hosenrollen auftreten. Da wird so manche normierte Geschlechtervorstellung durchlässig. Und dass der im Querverlag nun erschienene Opernführer den Titel „Casta Diva“ trägt hat auch seinen Grund.

Schon der schwule Filmemacher, Regisseur und leidenschaftliche Opernliebhaber Werner Schroeter hatte die Sängerinnenikone des 20. Jahrhunderts mit großer Hingabe verehrt: Maria Callas in ihrer Paraderolle der „Norma“ mit der großen Arie „Casta Diva“.

Denn die Diva – und Maria Callas war vielleicht die letzte große Verkörperung dieser Gattung – ist die Außenseiterrolle schlechthin. Bejubelte Leidenschaft auf der Bühne und tragisches Leiden am wirklichen Leben. Darin wurde die Diva und auch Maria Callas zur Identifikationsfigur auch des schwulen Selbstbewusstseins und der damit einhergehenden Differenz.

Querständige Geschichte der Oper

Darüber hinaus sind in zahllosen Opern die Geschlechterrollen und die emotionalen Beziehungen kaum als normiert und eindeutig zu bezeichnen. In der Regel sind Operngeschichten viel zu schillernd und ambivalent, um als Lehrstücke für normiertes Verhalten tauglich zu sein.

Auf rund siebenhundert Seiten entfaltet der schwule Opernführer denn auch konsequent eine querständige Geschichte der Oper, die von ihren Anfängen mit Claudio Monteverdis „Orfeo“ bis ans 20. Jahrhundert reicht. Da geht es um Komponisten, die schwul waren oder sind.

Bei Georg Friedrich Händel oder Franz Schubert wird dies angenommen, bei Peter Tschaikowskij, Ethel Symth, Francis Poulenc, Michael Tippett, Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Aribert Reimann, Thomas Adés oder Matthias Pintscher ist es eine offene Tatsache.

In manchen Werken des Musiktheaters werden schwule Beziehungen, Begehrlichkeiten und Leidenschaften offen thematisiert, wie in Benjamin Brittens „Death in Venice“ oder Leonard Bernsteins „A quiet place“. In anderen ist es ambivalent. Und die Hosenrollen in Mozarts „Figaros Hochzeit“ oder Strauss‘ „Rosenkavalier“ sind offensichtliche Beispiele changierender Geschlechtsidentitäten.

Selbst den scheinbar eindeutigen Machismo in Verdis „Troubadour“ kann man immerhin auch als Verdrängungsakt homorerotischen Begehrens lesen, wenn man die stimmlichen Gewaltausbrüche zwischen Tenor und Bariton unter anderen Vorzeichen liest.

Hervorragende Inhaltsangaben

Formal unterscheidet sich „Casta Diva“ nur wenig von anderen, konventionelleren Opernführern. Auf ein sachliches Verzeichnis der Entstehungs- und Aufführungsdaten, auf das der handelnden Personen und Ort und Zeit folgt eine Inhaltsangabe und ein ausführlich einordnender Kommentar. Die Inhaltsangaben sind hervorragend von einem großen Autorenteam verfasst und sind wesentlich angenehmer zu lesen als diejenigen in der staubtrockenen „Enzyklopädie des Musiktheaters“ des Piper-Verlags.

Logischerweise kommt nicht jede Oper der Musikgeschichte vor, aber man entdeckt eben auch Seltenes, Rares und Unterschätztes wie Karol Szymanowskis „König Roger“, Egon Welleszs „Die Bakhantinnen“ oder Peter Maxwell Davies‘ „The Lighthouse“. Anderes mag man mit etwas Erstraunen vermissen, wie den in Frauenkleidern umherspazierenden „Albert Herring“ in Brittens gleichnamigem Werk.

Etwas albern wirkt die entschuldigende Begründung der Herausgeber, man habe für Kaija Saariaho, Olga Neuwirth oder Adriana Hölszky – George Benjamin wird erst gar nicht erwähnt – keine Beiträgerinnen gefunden. Da wünscht man diesem ansonsten sehr klugen Opernführer einen raschen Ausverkauf, damit es bald zu einer zweiten Auflage kommt. Dann können die Herausgeber einen Rundruf bei den Operndramaturgen und in den Redaktionsstuben starten, damit die Lücken geschlossen werden können.

Gesamtkunstwerk für alle Sinne

Dass es um eine schwule Perspektive geht und um keine Queer-Study der Oper, erklären die Herausgeber Rainer Falk und Sven Limbeck einleuchtend in ihrem sachlich intelligenten Vorwort. Und der Verlag heißt auch nicht ohne Grund Quer. Denn das Querständige der Oper ist vielleicht auch spannender als das politisch Korrekte des Queeren.

Mit zahlreichen, durchgängig vierfarbigen Porträtbildern und schön ausgewählten Szenenbildern häufig aktueller Inszenierungen ist der Band auch eine Augenweide. Und der pinke Samteinband von Deckel und Rücken ist taktil auch nicht zu verachten. Schließlich ist die Oper ein Gesamtkunstwerk für alle Sinne.       

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Bernd Künzig