Als Komponist der Avantgarde bin ich selbstverständlich immer der Zukunft zugewandt. Da ist es doch nur konsequent, dass ich mich neulich mit meinem Bankberater traf, um mich über mögliche Berufsunfähigkeitsversicherungen zu informieren. Was, wenn mir mal nichts Geniales mehr einfällt? Das ist meine andauernde Sorge.
Als er als Berufsbezeichnung "Komponist" eingab, benötigte der Computer gefühlte sieben Stunden um die zu erwartenden Kosten auszurechnen, die sich als astronomisch erwiesen. Warum nur soll ich monatlich so viel Geld zahlen? Nun, ich wurde in die schrecklichste und gefährlichste aller Kategorien einsortiert – dort, wo sich ansonsten nur Testpiloten und Tiefseetaucher tummeln.
Die lebensgefährlichen Tätigkeiten eines Komponisten
Was aber, bitteschön, könnte an meinem Beruf denn so gefährlich sein? Blutvergiftung durch Bleistiftstiche, Erstickungsgefahr durch Radierabrieb? Doch dann kam die Erleuchtung: es muss die gefährliche Überhitzung durch nicht zu erfüllende Erwartungen sein. Etwa von der Kritik.
Da herrscht Schnappatmungsgefahr und es geht uns wie dem Bundestrainer: kaum einer kann’s, aber alle wissen, wie’s geht. Dem einen ist man zu wild, dem anderen zu zahm. Der eine fordert gesellschaftliche Relevanz, sagt aber nicht, was er damit meint. Das eine Stück ist für den einen eine Beleidigung, für den nächsten eine Offenbarung. An derlei Vielfalt ist nichts auszusetzen und kurzer Bluthochdruck kann auch erfreulich sein und so bringt konstruktive Kritik immer Leben in die Bude.
Hedonist oder Opportunist?
Wirklich gesundheitsgefährdend sind dagegen vielmehr Komponisten, die niemals Zweifel an ihrer Genialität haben. Und die mit ihrem Stil zu glänzen trachten und verschmitzt in sich hineinfreuen: Ha, was habe ich’s dem wieder gegeben. Egal, dann ist da ja auch noch das Publikum! Manches erwartet, dass die Erwartungen nicht erfüllt werden. Wenn ich die Erwartungen nicht erfülle, habe ich geliefert, was erwartet war und wieder war’s daneben.
Wenn ich mache, was ich will, bin ich Hedonist. Wenn ich mache was man erwartet, bin ich Opportunist. Aber woher soll ich wissen, was man erwartet, wenn ich keinen Bestellschein bekommen habe? Wer erwartet also wann was und warum?
Wie viel ist eine Pianistenhand wert?
„Watte mach’s, machste falsch. Also machet!“
Bis hierhin schon verwirrend genug! Aber dann gibt es da noch die Kolleginnen und Kollegen, die erwarten ohnehin ausschließlich Meisterwerke, die aber – da geht’s mir nicht anders – selbstredend nur sie selbst schreiben können. Die beste Versicherung gegen derlei verfahrenes Gejammer gibt es bei keinem Unternehmen jemals zu erwerben. Meine Oma hatte sicher recht, wenn sie sagte: „Watte mach’s, machste falsch. Also machet!“
Heißt für uns Komponisten: Mit Schwung in die Erdbeeren, ab durch die Mitte, Augen auf und durch. Die Gnadenlosesten werden mit Charme umgarnt, die Grantigsten geherzt und geknuddelt, bis es quietscht. Die Musik nämlich, um die es uns allen doch geht, die steht währenddessen stirnrunzelnd daneben, lächelt wissend und denkt sich vielleicht: „Leute, Leute... entspannt euch. Und hört doch einfach mal zu.“