Künstlerinnenbiografien

Zwischen Wiener Bürgertum und Verfolgung: Andrea Schwabs Buch „Jüdische Komponistinnen“

Stand
AUTOR/IN
Dorothea Hußlein
KÜNSTLER/IN
Andrea Schwab

Bereits seit ihrer Zeit als Gesangsstudentin beschäftigt sich Andrea Schwab mit den Werken verfolgter jüdischer Komponistinnen. In ihrem Buch „Jüdische Komponistinnen“ erinnert Schwab an Leben und Werk von elf bedeutenden Wiener Musikerinnen und zeichnet ein Bild von den Lebensumständen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Elf jüdische Komponistinnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Porträt

Die Wiener Mezzosopranistin und Publizistin Andrea Schwab hat für ihren kleinen Porträtband zwischen 1832 und 1915 geborene Komponistinnen ausgewählt. Alle entstammen gut situierten Familien des gehobenen jüdischen Wiener Bürgertums.

In diesen Kreisen war es selbstverständlich, ein Instrument zu erlernen. Auch ein Universitätsstudium war eine Option, aber ein Berufsleben als Komponistin kam für diese Töchter nicht infrage.

Mathilde von Rothschild: Chopin-Schülerin und Auftragskomponistin

Die erste der porträtierten Komponistinnen, Mathilde von Rothschild, kam 1832 zur Welt. Sie nahm bei Frédéric Chopin Unterricht, übte aber Musik ausschließlich im privaten Bereich aus.

Ihre spätere exponierte gesellschaftliche Position ermöglichte es ihr jedoch, auf Wunsch und Bestellung zu komponieren. Über Mathilde von Rothschild schreibt Schwab:

Charlotte de Rothschild singt Mathilde von Rothschilds „Les Papillons“

Hilde Loewe-Flatter: Komponieren unter männlichem Pseudonym, Konzerte in Österreich trotz Exil

Zu den höchst bemerkenswerten Erscheinungen der Wiener Bühnen- und Musikwelt der Zwischenkriegszeit gehört Hilde Loewe-Flatter. Sie war eine hervorragende Pianistin und Korrepetitorin, der mühelos der Wechsel zwischen E- und U-Musik gelang.

Um ihre Kompositionen veröffentlichen zu können, arbeitete sie, wie auch die in diesem Buch porträtierte Hilde Geiringer, unter männlichem Pseudonym. Dazu wurde im Jahrbuch der ‚Wiener Gesellschaft‘ von 1929 vermerkt:

1936 ging Hilde Loewe-Flatter mit ihrem Ehemann Joseph Otto Flatter ins englische Exil. Das Musikleben war ihr so wichtig, dass sie in den darauffolgenden Jahren mehrfach für Konzerte nach Österreich zurückkehrte.

Für die Biografin Andrea Schwab ist aber nicht klar zu beantworten, ob Loewe-Flatter, wenn sie keinen Einschränkungen unterworfen gewesen wäre und nicht ins Exil hätte gehen müssen, das Komponieren in den Mittelpunkt ihres Schaffens gestellt hätte. 

Andrea Schwab: Jüdische Komponistinnen (Buchcover) (Foto: Pressestelle, Hollitzer Wissenschaftsverlag Wien )
Das Porträt von Camilla Frydan ziert das Cover des Buches von Andrea Schwab.

Camilla Frydan: Pianistin, Sängerin, Komponistin, Dirigentin, Musikverlegerin

Zu den bedeutendsten Künstlerinnen Wiens zählte die Pianistin, Sängerin, Komponistin, Dirigentin und Musikverlegerin Camilla Frydan. 1949 starb sie im New Yorker Exil.

Dass sie ein Werk aus 500 Einzelnummern hinterließ, wird neben ihrer Begabung auch ihrer Willensstärke zugeschrieben. Sie hat sich mutig angesichts des Antisemitismus im Vorkriegs-Wien und danach im Exilalltag mit Ausdauer als Komponistin behauptet.

Camilla Frydan: „Ich brauch ein Mädel“, gesungen von Hans-Jörg Gaugelhofer

Vally Weigl: Selbstverständnis als politisch Verfolgte, nicht als Jüdin im Exil

Auch die Künstlerin und Wissenschaftlerin Vally Weigl hatte eine sehr eigene Wahrnehmung ihres Jüdischseins. Weigl war bereits 1921 aus der Israelitischen Kulturgemeine ausgetreten und zum evangelischen Glauben konvertiert.

1938 emigrierte sie mit ihrer Familie die USA. Sie wollte aber nicht wahrhaben, in Österreich wegen ihrer jüdischen Herkunft diskriminiert worden zu sein.

Elf spannende, gut recherchierte Künstlerinnenporträts

Andrea Schwab porträtiert elf Komponistinnen, die nach den Nürnberger Rassengesetz alle als Voll- oder Halbjüdinnen galten. Auf 182 Seiten beschreibt Schwab gut recherchiert und durch viele Fußnoten belegt, die Zeitumstände mit den gewaltigen Umwälzungen, Kriegen und Revolutionen, in denen diese Komponistinnen lebten.

Aus der Reihe fällt Alma Mahler-Werfel, da sie keine Jüdin war. Sie spielt aufgrund ihrer Ehen mit den jüdischen Künstlern Gustav Mahler und Franz Werfel eine Rolle. Die Auswahl von Andrea Schwab bei der Zusammenstellung dieser Komponistinnen ist sicher persönlich bedingt. Aber das ist kein Nachteil.

Wir erfahren hier viel über die spannenden Lebensgeschichten dieser Komponistinnen, die von Nationalsozialisten als Jüdinnen betrachtet wurden, auch wenn einige von ihnen zum Christentum konvertiert waren und viele sich kaum oder gar nicht mit der jüdischen Religion und Kultur identifizierten.

Komponistinnen im Fokus

Zur Person Die iranische Komponistin Aftab Darvishi – traumverloren und existentiell

Die Iranerin Aftab Darvishi erzählt in ihrer Musik von einem Leben zwischen den Kontinenten, zwischen Afrika und Europa, zwischen dem Iran und den Niederlanden, wo sie Komposition studiert hat. "Meine Musik ist nicht nur persische Musik", sagt die 1987 geborene Darvishi, "sie ist viel mehr als das: Sie ist eine Annäherung an das Sein."

SWR2 Zur Person SWR2

Wien um 1900

Buch-Tipp „Frauen um Mahler. Die Wegbegleiterinnen des Komponisten“ von Franz Willnauer

Gustav Mahlers Verhältnis zum weiblichen Geschlecht war lange Zeit ein Gespinst aus Gerüchten und Vermutungen. Jetzt hat der Mahler-Experte Franz Willnauer nach umfangreichen Recherchen das Buch „Frauen um Mahler“ geschrieben. SWR2-Kritiker Christoph Vratz lieferte es viele wertvolle Erkenntnisse.

SWR2 Treffpunkt Klassik SWR2

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