Choreographiertes Körpertheater
Der amerikanische Regisseur James Darrah, der in Karlsruhe sein Deutschland-Debut gibt, geht ästhetisch ganz eigene Wege. Er verzichtet nicht nur auf Nebenhandlungen und genaue Zuordnung von Ort und Zeit, er braucht in seinem Bühnenkonzept überhaupt keine äußerliche Handlung. Vielmehr verlegt er alles ins Innere der Protagonisten und entwickelt für jeden Auftritt, jede Arie ein choreographiertes Körpertheater.
Die seelische Befindlichkeit der von Liebe, Eifersucht, Rache, Kampfeslust und Treue getriebenen Protagonisten in Körpersprache sichtbar zu machen, das ist Ziel dieser ungeheuer konzentrierten und reduzierten Produktion: Körper-Pyramiden, Zweikämpfe, Ausdrucks-Tanz und Ballett, Suche nach engstem Körperkontakt und Abwehr sind die häufigsten Mittel.
Auch bleiben die Protagonisten in den seltensten Fällen aufrecht stehen, irgendwann landen sie knieend, hockend oder liegend auf dem Boden. Nur einmal bleibt Alcina mit der wunderbaren Kanadierin Layla Claire allein, ohne Gefolge auf der Bühne, im Moment ihrer tiefsten Verlassenheit, wenn sie ihre düstere Trauerarie „Ach, mein Herz“ singt. Choreographisch umgesetzt hat Darrahs Ideen sein Assistent David Laera, der selbst Tänzer war.
Frei von Manieriertheit
Mit Andreas Spering am Pult der Deutschen Händel-Solisten hat Darrah einen gleichgesinnten Partner, dem Händels Musik mit ihrem emotionalen wie instrumentalen Reichtum ebenso am Herzen liegt wie dem Regisseur. Zwischen „furioso“ und „desolato“, zwischen höchster Freude und tiefster Trauer kreist Spering ohne je in Manieriertheit zu verfallen. Selbst die größte Dramatik wirkt weder übersteuert noch gehetzt. Bühne und Orchester stimmen im gemeinsamen Grundpuls und im Zeitgefühl für die Arien bewundernswert überein.
Üppige Flora und Fauna sieht man in Karlsruhe also nicht. Die leere Bühne wird von zwei Wänden begrenzt, deren Fresko-Malerei schon ziemlich abgeblättert ist. Sie dienen als Video-Projektionsflächen für die äußere Natur, für das Meer, das Bradamante und Melisso auf der Suche nach Ruggiero auf die Insel gespült, und für die Tiere, in die die Zauberin Alcina ihre abgelegten Männer verwandelt hat – hier sind es vor allem Rehe und Hirsche. Verbunden werden die Wände durch einen vieldeutigen Vorhang aus hellen Stoffstreifen, hinter dem wohl Alcinas Gemächer liegen.
Youtube-Video: Ausschnitte aus "Alcina" in Karlsruhe
Maximum an Gesangskunst
Was Händel seinen Solisten in dieser Oper abverlangt, ist ein absolutes Maximum an Gesangskunst. Alcina hat sechs Arien der unterschiedlichsten Art, Ruggiero, ihr Gegenspieler sogar sieben. Ihn singt in Karlsruhe der australische, ungemein virtuose und höhengewandte Countertenor David Hansen, der seine Stimme allerdings noch strahlender einsetzen könnte, wenn er nicht immer mit geneigtem Kopf und ein wenig in sich zusammengekrümmt singen müsste:
Bis auf die ziemlich intonationsunsichere und wenig ausgeglichene Sopranistin Aleksandra Kubas-Kruk in der Rolle der Morgana, der Schwester Alcinas, glänzte diese Premiere mit einer fabelhaften Besetzung, vor allem auch in den kleineren Rollen der Bradamante mit der italienischen Altistin Benedetta Mazzucato, des Oberto mit den rasanten Koloraturen von Carina Schmieger, sowie den beiden hauseigenen Ensemble-Mitgliedern Nicolas Brownlee als kraftstrotzender Bass für die Rolle des Melisso und Alexey Neklyudov als feinsinniger Tenor in der Rolle des Oronte.