Für einen nebenamtlichen C-Organisten ist die österliche Karwoche eines der Highlights im Kirchenjahr. Das Abschalten der Orgel in der Karfreitagsliturgie – ein lapidares Schlüsselumdrehen mitten im Gottesdienst. Und dann? Tuttiknopf und Hallelujakrawall! Gordon Kampe erinnert sich.
Sakropop statt Gotteslob
Insgesamt 17 Jahre lang habe ich jeden Sonntag in einer kleinen Kirchengemeinde in Herne auf der Orgelbank zugebracht. Und wie das so ist, mal mit mehr, mal mit weniger Begeisterung. Manchmal musste ich runter von der Orgelbank und auf einem schaurigen Keyboard – meistens mit der Honkytonk-Einstellung – Sakropop spielen.
Es muss in der Karwoche gewesen sein, als einmal neben mir das Midi-Schlagzeug währenddessen einfach so in sich zusammensackte, obwohl gerade niemand darauf spielte. Na denn, dachte ich mir – der Herr hat mehr Geschmack als seine Diener.
Karfreitagsliturgie als Organisten-Highlight
Doch jenseits aller Merkwürdigkeiten und gelegentlicher Skurrilitäten, die das Alltagsgeschäft des nebenamtlichen C-Organisten mit sich brachte, gab es immer wieder Momente, an denen ich mir sicher war, doch an der richtigen Stelle zu sein. Einer jener Momente, auf die ich mich lange vorher freuen konnte, war – trotz des im Kirchenjahr traurigsten Anlasses – die Karfreitagsliturgie.
Die ersten Choräle begleitete ich noch von der Orgel, dann spielte ich stets das Crucifixus aus Bachs h-Moll Messe und stellte den Orgelmotor mit dem Verklingen des letzten Akkordes ab. Diese lapidare Handbewegung beim Umdrehen des Schlüssels am Orgelmotor mitten im Gottesdienst, das war dann doch immer mehr, als ein Hinweis auf den nahenden Dienstschluss.
Auferstehung der Musik
Mit den Kerzen am Altar, verstummt auch die Orgel – und alle weiteren Choräle werden dann, oft mehr schlecht als recht, a cappella gesungen. Ich bin kein Theologe und kann es nicht recht deuten, aber die Abwesenheit der Begleitung und die damit einhergehende Stille, hatte immer etwas Beklemmendes. Welche Begeisterung dann, wenn ich in der Osternacht – da kannte ich nix – an der richtigen Stelle mit Tuttiknopf und Hallelujakrawall die Statik des Kirchleins zu erschüttern versuchte.

Abschalten in der Karwoche
Seit ein paar Jahren orgele ich nun nicht mehr. An den Feiertagen fehlt es mir doch ein bisschen und ich beneide die Kolleginnen und Kollegen ein wenig, wenngleich ich mich trösten kann: immerhin darf ich jetzt ausschlafen. Für den privaten Moment des Schlüsselumdrehens bin ich nun also alleine verantwortlich. Besonders originell bin ich da sicher nicht – aber mir sind, wie bei vielen Menschen, die großen Bach-Passionen zu jenem Schlüssel geworden, die den Motor wenigstens kurz etwas herunterfahren können.
Heute am Schluss mal kein Scherz, Satire oder Ironie: Wenn Sie nur sieben Minuten Zeit haben in dieser Woche, dann hören Sie doch mal wieder die so unglaublich schöne, schlichte, hoffnungsvoll und zugleich tieftraurige Arie »Mache dich mein Herze rein« aus der Matthäuspassion – warten sie danach noch ein bisschen, bis der Bass in einem folgenden Rezitativ »Nun ist der Herr zur Ruh gebracht« singt und der Chor mit zwei Takten antwortet, die vielleicht zu den schönsten der Musikgeschichte gehören: »Mein Jesu, mein Jesu, gute Nacht.« An der Stelle können Sie dann getrost ein paar Tage abschalten.
Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion | Klassik in der ARD Mediathek