Nach dokumentierten sexuellen Belästigungen im Klassikbetrieb

Sanderling und Honeck übernehmen Gattis Jobs

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Musikerinnen berichteten in der Washington Post über ihre Erfahrungen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Das Concertgebouw-Orchester in Amsterdam reagierte schnell und entließ fristlos seinen Chefdirigenten Daniele Gatti. Kollegen springen nun ein.

Daniele Gatti dirigiert das Dutch Royal Concertgebouw Orchestra (Foto: SWR, picture-alliance / dpa - Robin van Lonkhuijsen)
Nach den dokumentierten sexuellen Belästigungen der Washington Post nun Ex-Chefdirigent des Royal Concertgebouw-Orchesters Amsterdam: Daniele Gatti

Das Schema sei immer gleich gewesen: Erst Versuche der sexuellen Annäherung und Belästigung, dann verbale Bedrohungen, wenn die Opfer damit an die Öffentlichkeit wollten. Die Washington Post veröffentlichte am 26. Juli mehrere Berichte von Musikerinnen, die sexuelle Belästigung durch berühmte Musiker beschreiben.

Der Fall Daniele Gatti - Sanderling und Honeck übernehmen

Auch der italienische Dirigent Daniele Gatti war unter den Beschuldigten. Zwei Sängerinnen werfen ihm vor, sie begrapscht und bedrängt zu haben. Gatti ließ zunächst durch einen Sprecher ausrichten, dass er immer von gegenseitigem Interesse ausging. In einer weiteren Erklärung entschuldigte er sich bei allen Frauen, die glaubten, dass er sie nicht "mit dem größtem Respekt und der Würde" behandelte. Doch nach der Veröffentlichung hatten auch Amsterdamer Musikerinnen "Erfahrungen mit Gatti gemeldet, die angesichts seiner Stellung als Chefdirigent unpassend sind". Die Folge war seine fristlose Kündigung als Chef des Concertgebouw-Orchester in Amsterdam.
Der österreichische Dirigent Manfred Honeck und der Chefdirigent der Dresdner Philharmonie, Michael Sanderling, übernehmen nun einige Konzerte für Gatti. Der 51-jährige Sanderling wird vier Konzerte im September übernehmen und damit sein Debüt beim Amsterdamer Orchester geben.

Weitere Beschuldigte

Die von der Zeitung zusammengestellten Fälle reichen einige Jahre zurück. Einer der beschuldigten Musiker ist der Konzertmeister des Cleveland Orchestra, William Preucil. Auch er soll Sex erzwungen haben, indem er seinem mutmaßlichen Opfer, einer jungen Violinistin, mit ihrem Karriereende drohte. Die Orchesterleitung in Cleveland hat ihn mittlerweile suspendiert und eine unabhängige Untersuchung angekündigt. Ein weiterer Beschuldigter ist Bernard Uzan, ehemaliger Direktor der Oper von Montreal. Auch er ließ die Vorwürfe zurückweisen.

Dutoit und Levine bereits entmachtet

Seit dem Beginn der #MeToo-Debatte im Oktober 2017 gab es zahlreiche Fälle sexueller Belästigung im Klassikbetrieb. Im Januar musste Charles Dutoit das Royal Philharmonic Orchestra London März verlassen, James Levine wurde von der New Yorker Met entlassen. Für die Washington Post sind alle dokumentierten Fälle auf das Machtgefälle in der Klassikszene und auf die vermeintliche Omnipotenz von Dirigenten und Musikern zurückzuführen. Viele Opfer hätten jahrelang gedacht, dass sie das Verhalten als normal und gängig zu akzeptieren haben. Nun erst ändere sich etwas - dank dem Mut der Opfer, das Schweigen zu brechen.

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SWR