Lieblingsaufnahme

Luca Marenzio: Il Nono Libro de Madrigali

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AUTOR/IN
Michael Rebhahn

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Il Nono Libro de Madrigali – das Neunte Madrigalbuch des Renaissancekomponisten Luca Marenzio. Das italienische Vokalensemble La Venexiana hat Marenzios späte Stücke unter der Leitung von Claudio Cavina eingesungen. Eine Lieblingsaufnahme von Michael Rebhahn.

La Venexiana unter der Leitung von Claudio Cavina

Manchmal erweisen sich die Traditionslinien zwischen dem Neuen und dem Alten als besonders sinnfällig. So schrieb der amerikanische Komponist Alvin Lucier 1995 das Stück Still Lives: Auf einen beständig ansteigenden Sinuston werden hier vereinzelte Klavierklänge gesetzt.

Knapp 400 Jahre vor Lucier hatte Luca Marenzio eine ganz ähnliche Idee. In seinem Madrigal Solo e pensoso singt der Sopran eine chromatische Tonleiter in ganztaktigen Noten, während die übrigen Stimmen den Kontrapunkt dazu setzen.

Das »einsame Nachdenken«, das Francesco Petrarca in seinem Gedicht beschreibt, setzt Luca Marenzio fast schon »konzeptuell« in Musik. Ihn vor diesem Hintergrund als einen Avantgardisten seiner Zeit zu verstehen, wäre allerdings falsch.

Im Gegenteil: Als im März 1599, nur wenige Monate vor seinem Tod, sein Neuntes Madrigalbuch erschien, zählte Marenzio zu den Vertretern einer im Verschwinden begriffenen Musikpraxis. Wer modern sein wollte, folgte den Maximen des Stile nuovo, der Melodie über Harmonie und Nachvollziehbarkeit über Komplexität stellte.

Der „Franz Schubert“ des Madrigals

Aber wie das mit ausgehenden Epochen nun mal so ist, erweisen sie sich häufig als ideale Nährböden für das ästhetisch Außergewöhnliche. Und im musikalischen Fin de siècle des 16. Jahrhunderts waren das zweifellos auch die Madrigale von Komponisten wie Carlo Gesualdo oder Luca Marenzio. Luca Marenzio sei »der Franz Schubert des Madrigals«.

Höchste Sensibilität

So beginnt der englische Musikforscher Denis Arnold seine Biographie des Komponisten und beschreibt mit diesem gewagten Vergleich das vielleicht wesentlichste Merkmal von dessen Musik: die unglaublich feinsinnige und präzise Ausdeutung der lyrischen Textvorlagen. Die Sängerinnen und Sänger des Ensembles La Venexiana begegnen in ihrer Aufnahme des Neunten Madrigalbuchs diesem besonderen »Marenzio-Moment« mit höchster Sensibilität.

Liebe, Schmerz, Verlust und Hoffnung

Luca Marenzios Neuntes Madrigalbuch ist von Melancholie durchzogen: in den Texten von Dante, Petrarca und Guarini geht es zumeist um Liebe, Schmerz, Verlust und Hoffnung. Die Musik bleibt dazu aber in einer respektvollen Distanz; zu keiner Zeit wird sie affektiert oder theatralisch. La Venexiana greift diese Zurückhaltung auf: es wird nie zu laut, zu exaltiert oder zu »gewollt« gestaltet.

Sorgfältiges »Lesen« von Luca Marenzios Musik

Das in der Alten Musik nicht selten anzutreffende »Deuten« aufs Außergewöhnliche findet hier nicht statt. Was das Ensemble La Venexiana stattdessen macht, ist ein sorgfältiges »Lesen« von Luca Marenzios Musik, die zwar nicht immer einfach, aber in jedem Moment absolut überzeugend ist.

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Michael Rebhahn