Kritik | „Herzog Blaubarts Burg“ im Stuttgarter Paketpostamt

Gelungenes alternatives Opernkonzept

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Von Monika Kursawe

Der Installationskünstler Hans Op de Beek verlegt Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ ins Stuttgarter Paketpostamt für eine im wahrsten Sinne des Wortes ganzheitliche Inszenierung. Schon im Vorfeld wurde den Besuchern der Premiere am 2. November per Mail geraten „flaches und festes Schuhwerk zu tragen“.

Publikum muss durchs Wasser zu den Zuschauerplätzen

Wasserdichte Überschuhe – das bekommt man äußerst selten vor einer Opernpremiere gereicht. In diesem Fall ist das aber sehr sinnvoll: Geführt von einer Art Reiseführer und begleitet von unheilvollen Klängen, wandeln die Besucher in kleinen Gruppen knöcheltief im Wasser durch eine düstere Landschaft.

Im Dunkeln zeichnet sich ein langer Holzsteg in der Mitte des Raums ab, ein paar dürre Bäume, ein Bootswrack, glühende Kohlen in einer Stahltonne. Rund um den See, ganz dicht am Steg, sind kleine, trockene Inseln. Hier sind die Zuschauerplätze. Das Publikum verwandelt sich so gewissermaßen in Voyeure, die das unglückselige Paar beobachten, um dessen Beziehung es in Bartóks Oper geht: um den grausamen Herzog Blaubart und seine mittlerweile vierte Frau Judith.

Video: Premieren-Vorbericht

Ein unglückseliges Liebespaar

Judith ist dem Herzog – trotz Warnungen – auf seine düstere Burg gefolgt. Sie will Licht in sein Leben bringen, indem sie die Türen seiner Burg öffnet. Es wird ihr nicht gelingen. Zu schwer wiegt Blaubarts düstere Vergangenheit, die sich mit jeder geöffneten Tür, mit jedem gelüfteten Geheimnis mehr zwischen die beiden Liebenden schiebt.

Bartóks Musik ist enorm intensiv, mit großen dynamischen und klangfarblichen Dimensionen – und zugleich ist sie seltsam intim, lässt den Zuhörer in die Abgründe von Herzog Blaubarts düsterer Burg hinabsteigen und in die Seelen seiner Protagonisten blicken.
Und Titus Engel und dem Staatsorchester Stuttgart gelingt es hervorragend in diese Klangwucht einzutauchen und dabei die vielen verschiedenen musikalischen Facetten an die Oberfläche zu bringen.

Musikalisch befriedigender Abend

Dass der warme, niemals scharfe Klang gelegentlich leicht im Raum verschwimmt, ist der Örtlichkeit geschuldet und fällt nicht besonders ins Gewicht, an diesem musikalisch so befriedigenden Abend.

Das ist auch den Sängern zu verdanken: mit traumwandlerischer Sicherheit und warmem Timbre scheinen Falk Struckmann als Blaubart und Claudia Mahnke als Judith hier ihre Paraderollen gefunden zu haben. Ihnen gelingt mühelos der Spagat zwischen den expressionistischen Weiten und der intimen Stimmung der Musik, zwischen Liebe und Grauen.

Gelungenes alternatives Opernkonzept

Die emotionale Nähe, die Bartók in der Musik anlegt, greift Hans Op de Beek in seiner Inszenierung ebenfalls auf. Ins Zentrum stellt er den Konflikt eines Paares, das an der Vergangenheit des einen, dem ungesagten und unsagbaren in einer Beziehung scheitert. Die düstere Seenlandschaft, in der die Sänger zum Greifen nah und doch fern sind, spiegelt diese innere Einsamkeit perfekt wieder.

Zudem nutzt Op de Beek den Raum der Industriehalle in seinem begehbaren Bühnenbild beispielhaft aus. Insgesamt eine äußerst gelungene Inszenierung, in der die Grenzen von Musiktheater, Performance und Installation verschwimmen – und in jedem Fall eine gute Werbung für alternative Opernkonzepte.

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SWR