DVD-Tipp

Überragendes Zusammenspiel: Brittens Streichquartette mit dem Belcea Quartet

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AUTOR/IN
Georg Waßmuth

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Der Komponist Benjamin Britten hat allein 16 Opern, zwei Dutzend Orchesterwerke, ebenso viele Chorwerke und eine große Sammlung an Vokalmusik hinterlassen. Doch ein Genre hat der Kreative sehr sparsam bedacht: Britten komponierte, von Fingerübungen einmal abgesehen, nur drei Streichquartette. Zu Beginn, in der Mitte und am Ende seiner langen Karriere. Das in England gegründete Belcea Quartett hat nun bei Unitel Classica eine DVD mit einer Gesamteinspielung aller drei Streichquartette vorgelegt. Georg Waßmuth hat sie angesehen und angehört.

Parforceritt auf vorderster Klavierhockerkante

Die Dame ganz in fließendem Rot, die Herren mit schnittigen Oberteilen, die ein klein ein wenig an den Dienstanzug von Captain James T. Kirk im Raumschiff Enterprise erinnern, so durchgestylt stellte sich das Belcea Quartett der Musik von Benjamin Britten. Seine drei Streichquartette hatte sich das Ensemble für eine Live-Studio-Aufnahme vor kleinem Publikum in Paris vorgenommen. Es ist ein Parforceritt auf vorderster Klavierhockerkante. 85 Minuten, die keine Sekunde am ernsthaften Charakter der Musik Benjamin Brittens zweifeln lassen.

„Sie hat die Schönheit der Einsamkeit und des Schmerzes. Die Schönheit der Enttäuschung und der nie erfüllten Liebe. Die grausame Schönheit der Natur und die ewige Schönheit der Monotonie.“

Obwohl Benjamin Britten ein sehr produktiver Komponist war, realisierte er in seiner langen Schaffenszeit nur drei Streichquartette. Das erste im Jahr 1941 in den USA. Dorthin war er vor den Wirren des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit seinem Lebenspartner geflüchtet. Die konservative Öffentlichkeit in England missbilligte seine offen ausgelebte Homosexualität und zeigte auch wenig Verständnis für Brittens überzeugten Pazifismus. In Amerika lebte der 28Jährige keineswegs als in sich gekehrter Immigrant und hielt seine hohe Schlagzahl an Veröffentlichungen bei.

„Die alte Idee von einem Komponisten, der plötzlich eine grandiose Idee hat und die ganze Nacht damit verbringt, sie aufzuschreiben ist Unsinn. Die Nacht ist zum Schlafen da.“

Benjamin Britten legte schon als Jüngling seinem Lehrer Frank Bridge in der ersten Unterrichtsstunde 140 Kompositionen vor. Der war jedoch ein harter Knochen. Brittens erstes Streichquartett zerriss er förmlich in der Luft. Vor lauter Schreck nahm Britten viele Jahre Abstand von dieser Form. Sein erstes veröffentlichte er kurz nach dem Tod seines Lehrers. Pflichtgemäß ist es in dankbarer Erinnerung gewidmet, doch der eigene Ton ist unüberhörbar.

„Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Sobald man aufhört, treibt man zurück.“

Das Belcea Quartett ist kein abgehobenes Ensemble das sich dem Schöngeistigen verschrieben hat. Seinen Britten bürstet es in dieser intensiven Direkt-Aufnahme auch kräftig gegen den Strich. Dort wo tiefes Wasser ist, vermag das Quartett hingegen atemberaubend Ruhe zu bewahren. Wo es über Stock und Stein geht kennen die vier kein Halten mehr.

Sechs Jahre bis zum Durchbruch

Das Belcea Quartett wurde 1994 am Royal College of Music in London gegründet. Um die aus Rumänien stammende Geigerin Corina Belcea hatten sich einige begabte Mitstreiter versammelt. Es sollte sechs lange Jahre bis zum Durchbruch dauern. Erst im Jahr 2000 gelang eine hochgelobte Debüt-Aufnahme. Mittlerweile spielt das Quartett in anderer Besetzung und hat sich künstlerisch weiterentwickelt. Die Dominanz der Primgeigerin ist einem perfekt ausbalancierten Spiel gewichen.

Riesenerfolg: Brittens Oper „Peter Grimes“

Das 2. Streichquartett von Benjamin Britten entstand hörbar während einer Glücksträhne. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte er 1945 nach England zurück. Seine Oper „Peter Grimes“ wurde ein großer Erfolg. Den Komponist feierte man in seiner Heimat als bedeutendsten Tonschöpfer nach Henry Purcell. Britten schrieb so frei wie nie zuvor. Er probierte neue Ausdruckformen und schüttelte als Krönung für sein zweites Streichquartett lockere 21 Variationen aus dem Ärmel.

„Komponieren ist wie auf einer Straße im dichten Nebel auf ein Haus zu zufahren. Langsam sieht man mehr und mehr Details. Die Farbe der Schiefer und Ziegel, die Form der Fenster.“

Dreißig Jahre sollten vergehen bis Benjamin Britten sein drittes Streichquartett in Angriff nahm. Die Erklärung ist einfach. Er war der geborene Musikdramatiker und als Opernkomponist enorm erfolgreich. Das überschaubare Kammermusikpublikum stand hinten an. Kurz vor seinem Tod beknieten ihn Schüler und Fans um ein letztes Quartett. Es ist ein Abschiedswerk geworden. Den letzten Satz komponierte Britten am Handlungsort seiner Oper „Tod in Venedig“. Die Anspielung ist unüberhörbar, die Uraufführung erlebte der Komponist nicht mehr.

Belcea Quartet erfüllt jeden künstlerischen Anspruch

Die DVD „Benjamin Britten - The Complete String Quartets“ mit dem Belcea Quartett erfüllt künstlerisch jeden Anspruch. Gottlob macht die Bildregie keine Experimente und konzentriert sich auf das überragende Zusammenspiel der Interpreten. Bonus-Material, etwa in Form eines Interviews mit dem Ensemble, gibt es nicht - dafür spricht aber die Musik von Benjamin Britten geradezu Bände.

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Georg Waßmuth