Wenn in Stuttgart die Oper über den Heiligen Franz von Assisi von Olivier Messiaen aufgeführt wird, dann ist in vielerlei Hinsicht Ausnahmezustand: 8 Stunden dauert die Aufführung, über 200 Sänger*innen und Musiker*innen wirken nicht nur im Orchestergraben mit – denn da ist zu wenig Platz für alle – sie spielen und singen auch auf der Bühne im Opernhaus. Und nicht nur da: Die Mitwirkenden werden inklusive der Zuschauer*innen aufbrechen und durch Stuttgart pilgern.
Anspielung auf Joseph Beuys
Im dunklen Saal des Opernhauses herrscht eine beinahe ehrfürchtige Stimmung. Das Bühnenbild ist schlicht und trotzdem eindrucksvoll. Ein toter Hase liegt im Zentrum, um ihn herum stehen Sänger in ihren Kostümen.

Gut zwei Drittel der Bühne nehmen aber die über 100 Orchestermusiker ein. Die Kleidung des Publikums ist unüblich für einen Opernbesuch mit kurzen Hosen, Sonnenhüten, Trekkingsandalen und Wanderrucksäcken.
Die Zuschauer erwartet eine Reise, schon nach dem ersten Akt verlassen sie die Staatsoper. Davor stehen Guides und halten bunte Schilder mit Vogelnamen hoch.
MP3 statt Livemusik
Nach einer Fahrt mit der U-Bahn geben die Guides Mp3-Player an die Zuschauer*innen. Denn das vierte Bild wird per Kopfhörer auf dem Weg durch den Park gehört. Spätestens jetzt ist klar, warum die Oper die Besucher vorab um outdoor-taugliche Kleidung, Sonnenschutz und ein eigenes Vesper gebeten hat.

Unterwegs zeigen glitzernde Engel, die eher an schillernde Insekten erinnern, den Weg. Damit alles so glattgeht wie heute, gibt es Bedingungen, erklärt Produktionsleiterin Verena Silcher.
Regenvariante zum Schutz der Instrumente
Das Konzert ist auch an unterschiedliche Witterungen angepasst. Bei Regen findet der Großteil der Vorstellung im Opernhaus statt, die Pilgerreise findet verkürzt durch den Schlossgarten statt.
Hier auf dem Killesberg brennt aber die Sonne. Die Musiker wurden im Schatten platziert, die Sänger dagegen wandern durchs Publikum. Hauptdarsteller Michael Mayes sprintet mit Piloten-Sonnenbrille und Hipster-Dutt-Frisur auch mal die Treppen der Freilichtbühne hoch oder stellt sich ganz nah zu den Zuhörern.

Dort spricht er sie in seiner Rolle des Francois direkt an. Der charismatische Bariton aus Texas stammt aus einfachen Verhältnissen, vielleicht auch deshalb findet er die Idee so toll, mit der Oper rauszugehen.
Acht Stunden Oper mit packendem Finale
Das Finale ist spektakulär, mit einem Chor, der aus einem Zombie-Film entsprungen zu sein scheint. Der sterbende Francois, der von einem gelben, löchrigen Etwas verschlungen wird.
Und seine Auferstehung, in Form einer schillernden, engelsgleichen Verwandlung, wie ein Insekt nach seiner Verpuppung.

Nach 8 Stunden Oper gibt es für diese Leistung große Anerkennung vom Publikum, mit tosendem Applaus.
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