Zeitwort

7.4.1724: Johann Sebastian Bach führt die Johannespassion auf

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AUTOR/IN
Georg Waßmuth

Über fünf Stunden dauerte 1724 der Karfreitagsgottesdienst mit Johannespassion. Die Gemeinde in der Leipziger Nikolaikirche war eher erschöpft statt ergriffen.

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Am Karfreitag 1724 ist die Nikolaikirche in Leipzig bis auf den letzten Platz besetzt. Der Hauptgottesdienst dauert viele Stunden und wird von der ersten Passionsmusik, die Johann Sebastian Bach komponiert hat, umrahmt. Der Thomaskantor war erst ein knappes Jahr in Amt und Würden und beileibe nicht erste Wahl gewesen, wie einer der Ratsherren damals süffisant notierte.

„Da man keinen von den Besten bekommen kann, so bleibt nichts anderes übrig, als sich an einen Mittleren zu wenden und den Versuch zu machen, ob Bach aus Köthen für Leipzig zu gewinnen sei.“

Neue Werke in Rekordzeit

Nachdem man Bach zum Thomaskantor ernannt hatte, diente der sich den Leipzigern als genialischer Musikmacher an. Fast Woche für Woche konzipierte er ein neues Werk. Dreißig Kantaten stellte er dem Publikum innerhalb seines ersten Jahres im Gottesdienst vor.

Die Johannespassion komponierte er in Rekordzeit während der Fastenwochen vor Ostern 1724. Kraftvoll und mit bewussten Dissonanzen beginnt die Geschichte, von der Gefangennahme, Verurteilung, Geißelung und Kreuzigung Jesu.

Wechselbad der Gefühle

Mit seinem Werk taucht Bach am 7. April 1724 die Zuhörer in ein Wechselbad der Gefühle. Zudem wird dem gemeinen Volk zwischen den beiden Teilen der Passionsmusik mit einer ellenlangen Predigt die Leviten gelesen. Wer nach über fünf Stunden Gottesdienst aus der Nikolaikirche wankte, war erbaut oder zu Tode betrübt.

Zugeständnisse für die Leipziger

Die Leipziger zeigten sich von der Johannespassion wenig begeistert. Doch Bach wiederholte sein Werk in den folgenden Jahren und machte Zugeständnisse. Mal schwächte er den herben Anfang mit mildem Chorgesang ab, dann erweiterte er das Instrumentarium oder musste auf Wunsch der Obrigkeit Teile des Textes austauschen. Doch so recht umjubeln wollte den barocken Meister zu seiner Zeit eigentlich niemand und er beschwerte sich bitter bei einem Freund.

„Ich finde, dass dieser Dienst bei weitem nicht so erklecklich ist, als man mir ihn beschrieben, darob hier eine wunderlich und der Musik wenig ergebene Obrigkeit ist. Mithin ich fast in stetem Verdruss, Neid und Verfolgung leben muss.“

Johannespassion zu Corona-Zeiten

Passion für Gläubige und Zweifler

Bis zu seinem Tod im Jahr 1750 blieb Bach an Leipzig gebunden. Zu Karfreitag schrieb er noch weitere Passionsmusiken, dazu war er vertraglich auch verpflichtet. Seine spätere Matthäuspassion ist bis heute sehr populär und fast schon opernhaft in ihrer Pracht und Herrlichkeit.

Die Johannespassion bietet hingegen in ihren verschiedenen Fassungen mehr Raum für theologische Deutung und Interpretation. Sie ist gleichermaßen ein Werk für Gläubige und Zweifler geworden. Den Kirchenraum hat sie mancher Orts verlassen und hält Konzertbesuchern einen Spiegel voller Reflexionen über Verantwortung, Liebe, Leben und Tod vor.

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Georg Waßmuth