Gespräch

Rammstein-Konzert in München: Stimmung trotz der Vorwürfe?

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INTERVIEW
Frauke Oppenberg

Unter anderen Umständen wäre jetzt vielleicht vom „Konzertevent des Jahres in München“ die Rede. Rammstein, der weltweit erfolgreichste deutsche Musikexport der letzten Jahre, spielen im Münchner Olympiastadion, von Mittwoch bis Sonntag an vier Abenden und vor bis zu 250.000 Fans. Doch jetzt gibt es den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs weiblicher Fans gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann.

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Trotz Safe Spaces und Awareness-Teams: Ein ganz normales Rockkonzert

Ferdinand Meyen, Popjournalist beim BR, war bis dato leidenschaftlicher Rammstein-Fan, doch das Konzert am Donnerstag war wohl sein letztes, sagt er. Auch anderen Fans sei die Freude verdorben, allerdings seien Zehntausende zum Konzert gepilgert, weil die Tickets sehr teuer waren, zum Teil bis zu 150 Euro.

Die Stimmung sei dennoch gut gewesen, allerdings habe die Band ihr Bühnenprogramm geändert, so sei unter anderem auf eine riesige „Penis-Kanone“ verzichtet worden, die sonst beim Song „Pussy“ zum Einsatz kommt.

Auf Druck der Stadt wurden im Olympiastadion Safe Spaces eingerichtet, außerdem war ein Awareness-Team vor Ort. Dessen Präsenz habe jedoch nicht im Vordergrund gestanden: „Es gab etwas mehr Polizeipräsenz, ansonsten war es wie ein ganz normales Rockkonzert. Allerdings war ich sehr ambivalent und werde mir überlegen, ob ich weiter Fan bleibe“, so Meyen.

Gespräch Till Lindemann und die Groupies: Ein missbräuchliches System?

Unabhängig von den Anschuldigungen der sexuellen Gewalt, steht gegen Lindemann auch der Vorwurf des Machmissbrauchs im Raum. Aber welche Verantwortung hat ein "Star" gegenüber seinen "Groupies"? Anders als im Fall von Julian Reichelt, wo Karrieren auf dem Spiel standen, ist es in diesem Fall schwieriger auszumachen, ab wann man tatsächlich von Machtmissbrauch sprechen sollte. Warum man es tun sollte, erklärt die Soziologin und Journalistin Nadia Shehadeh im Interview mit SWR2.
Nach den vielen mutmaßlichen Zeugenberichten der letzten Tage dränge sich der Verdacht auf, dass Frauen für Sex mit Till Lindemann regelrecht "rekrutiert" würden, so Shehadeh. Allein das sehe sie schon als problematisch an, auch wenn es an sich nicht justiziabel sei. Das Argument, die Frauen wüssten doch, worauf sie sich einlassen, lässt sie nicht gelten. Man müsse deutlich unterschieden zwischen sogenannten Groupies "und einfachen Fans, die sich nichts dabei denken, wenn sie in exklusive Bereiche eingeladen werden - wie eben auch Kayla Shyx."
Shyx, eine junge Influencerin mit etwa 750.000 Followern auf Twitter und Instagram, hatte am Montag ein Video veröffentlicht, in dem sie von ihren eigenen Erfahrungen auf einer Afterafter-Party Till Lindemanns berichtet. Auch sie habe nicht geahnt, worauf das Treffen mit dem Rammstein-Sänger hinauslaufen solle, so Shyx, sie habe sich jedoch immer unwohler gefühlt und deswegen mit einer Freundin - gegen den Widerstand der Lindemann-Crew - die Flucht ergriffen.
"Es ist schon sehr bezeichnend, dass den jungen Frauen, die sich nicht bewusst waren, in welches Setting sie sich begeben, unterstellt wird, dass sie ja genau gewusst oder sogar gewollt hätten, was dort geschieht und so eben auch "Victim Blaming" betrieben wird", kommentiert Shehadeh auf SWR2. An diesem Beispiel zeige sich auch, warum es für mutmaßliche Ofer so schwierig sei an die Öffentlichkeit zu gehen. Oft würde eher dem Star geglaubt, der für viele auch ein Vorbild sei, so Shehadeh. Auch in dieser Hinsicht bestehe ein Machtgefälle zwischen den Fans und ihren Idolen.
Info: 2019 gründete Nadia Shehadeh die "Female Festival Task Force", die sich für die Sicherheit von Frauen auf großen Musikveranstaltungen, auf Festivals und Konzerten einsetzt.

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