Punk-Urgestein

Godmother of Punk: Nina Hagen mit neuem Album „Unity“

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Dirk Schneider
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Lydia Huckebrink

Nina Hagen ist eine Institution: Mit grellem Look und unzähmbarem Charakter brachte sie die Anarchie in den deutschen Musik-Mainstream. Nach zwölf Jahren erscheint nun ihr neues Album „Unity“ – musikalisch ein ähnlich anstrengender Stilmix wie die Outfits der Künstlerin und gleichzeitig eine schöne Erinnerung an die Existenz unserer skurrilen und liebgewonnenen „Godmother of Punk“.

Ein anstrengendes Album

Wenn „anstrengend“ das erste Wort ist, das Ihnen zu Nina Hagen einfällt, werden Sie sich durch ihr neues Werk „Unity“ bestätigt fühlen. Ungefähr auf dem Stressniveau des Stücks „Venusfliege“ bewegt sich das ganze Album.

Die erste Atempause gönnt uns die 67-jährige Diva erst, wenn sie uns bei Nummer zwölf mit der kleinen Gitarrenballade „Doesn’t Matter Now“ gemeinsam mit Bob Geldof, entlässt.

Die Schauspielerin und Sängerin Eva-Maria Hagen mit ihrer kleinen Tochter Nina auf dem Arm im Sommer 1957 in Ost-Berlin in der DDR. (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)
Ihr Leben in Bildern: Nina Hagen kommt 1955 in Ostberlin zur Welt. Sie ist die Tochter der bekannten Schauspielerin Eva-Maria Hagen. Bild in Detailansicht öffnen
Der Liedermacher Wolf Biermann, die Sängerin und Schauspielerin Eva-Maria Hagen, ihre Tochter Nina Hagen und der DDR-Regimekritiker Ralf Hirsch  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, dpa | Michael Probst)
Der DDR-Dissident Wolf Biermann, im Bild mit Eva Maria Hagen 1988, ist ihr Ziehvater. Auch Nina gilt dadurch als „politisch unzuverlässig“. Die Schauspielschule darf sie deshalb nicht besuchen. Bild in Detailansicht öffnen
Die DDR Opern- und Schlagersängerin Nina Hagen, Deutschland 1970er Jahre.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, United Archives | Max Schweigmann)
Sie übernimmt dennoch einige Schauspielrollen und startet in der DDR als Schlagersängerin durch. Ihr Song „Du hast den Farbfilm vergessen“ von 1974 ist bis heute ihr bekanntester Hit. Im Dezember wünschte sich die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel das Lied zum Abschied und bezeichnete es als ein „Highlight“ ihrer Jugend. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen um 1977 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, United Archives | Valdmanis)
1976 wird Biermann vom DDR-Regime ausgebürgert. Aus Protest verlässt auch Nina Hagen das Land und schließt sich zunächst der Punkszene in London an. Bild in Detailansicht öffnen
Manfred Praeker, Herwig Mitteregger, Nina Hagen, Bernhard Potschka, Reinhold Heil von der Nina Hagen Band (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Geisler-Fotopress | Tschiponnique Skupin/Geisler-Fot)
1977 kehrt sie zurück nach Westberlin. Mit der Nina Hagen Band hat sie internationale Erfolge. Die Single „Ich glotz TV“ wird ein großer Hit. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen 1978 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Dirk Zimmer )
Der Erfolg hält nicht lang. Die Bandmitglieder verwerfen sich mit Hagen, werfen ihr Egozentrik und Starallüren vor. In den 1980ern feiert die ehemalige Band – ohne Hagen – unter dem Namen Spliff große Erfolge. Bild in Detailansicht öffnen
Die Punk Nina Hagen im Jahr 1987 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Horst Galuschka)
Nina Hagen hingegen stilisiert sich mit ihren schrillen Outifts und den provokanten Aufritten zur Ikone des Punks in Deutschland. Ihr Erfolgsrezept: Tabus brechen und Grenzen überschreiten. Bild in Detailansicht öffnen
Gaststar Nina Hagen in der Comedy- und Muskshow Bananas, zwischen 1981 - 1984,  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, United Archives | kpa)
Doch Nina Hagen ist vor allem auch eine grandiose Darstellerin. Brillant mischt sie Musik mit Schauspielerei ... Bild in Detailansicht öffnen
Nina HAGEN, deutsche Punk-Sängerin, in der Fernsehsendung "Zur Mitte! Zurück?" vom 07.02.1993 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Keystone / Röhnert)
... und Laszivität mit Komik. „Es gibt wenige Kunstfiguren, die so konsequent Kunstfiguren sind“, schreibt der Kulturkritiker Thomas Nöske über sie. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen zum Thema "Drogenfreigabe" beim "Talk im Turm" am 04.10.1992 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, ZB | Hubert Link)
Ihre Talkshow-Auftritte sind legendär. 1979 schockiert Nina Hagen im ORF das Establishment, als sie vor laufenden Kameras gestenreich den weiblichen Orgasmus erklärt. Im Bild diskutiert sie 1992 bei „Talk im Turm“ zum Thema Drogen. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen mit Ehemann Iroquois und Tochter Cosma Shiva auf der IFA in Berlin, Deutschland 1987. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, United Archives / Frank Hempel)
Ihr Privatleben macht Hagen zu einem öffentlichen Spektakel. 1987 heiratet sie in einer „Punkhochzeit“ auf Ibiza ihren Iroquois. Die Ehe hielt eine Woche. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen 2010 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, dpa | Bodo Marks)
Eine Sensation ist und bleibt Nina Hagens Stimme, die „von der Kälte einer Grace Jones bis zur Raserei einer frühen Tina Turner sämtliche emotionalen Register beherrscht“, schreibt die Süddeutsche Zeitung 2009. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen und Max Raabe erhalten für ihre Einspielung von der "Dreigroschenoper" den "Echo Klassik 2000" (Foto: picture-alliance / Reportdienste, ZB | Bernd Settnik)
Scheinbar mühelos beherrscht sie auch anspruchsvolle Partituren. 1999 sang sie mit Max Raabe und dem Ensemble Modern die Dreigroschenoper ein – und bekam dafür den Echo Klassik. Bild in Detailansicht öffnen
Nina Hagen stellt 2010 in der Berliner Parochialkirche das neue Album "Personal Jesus" vor (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance / Jens Kalaene)
Zuletzt machte Nina Hagen mit abgedrehten UFO-Theorien und ihrem Hang zu Spiritualität Schlagzeilen. 2010 stellt sie in der Berliner Parochialkirche ihr zuletzt erschienendes Album „Personal Jesus“ vor. Bild in Detailansicht öffnen

 Nina Hagen, unangepasster Talkshow-Schreck

Nina Hagen ist das bundesdeutsche Maskottchen, das seit Jahrzehnten jeder Fernseh-Talkshow verlässlich die Behäbigkeit austreibt. Mit Gerede über Ufos und Engel lässt sie uns hin- und hergerissen zurück zwischen Faszination, Belustigung und Fremdscham.

Sie ist so wenig angepasst, dass sie Leute, die ihr nicht passen, auch vor der Kamera anschreit wie es hierzulande höchstens noch ein Klaus Kinski gewagt hat.

Nina Hagen zum Thema "Drogenfreigabe" beim "Talk im Turm" am 04.10.1992 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, ZB | Hubert Link)
Zu Gast bei „Talk im Turm“ 1992: Nina Hagen gibt ihre Meinung zum Thema Drogenfreigabe lautstark zum Ausdruck und sorgt mit einem Abgang für Aufregung.

Die Godmother Of Punk bleibt sich im Alter treu

Den Ehrennamen „Godmother Of Punk“ hat sich Nina Hagen redlich verdient, seit sie aus der DDR kommend direkt in die Londoner Punkszene eingetaucht ist, noch bevor sie dann ein deutsches Fernsehpublikum das Fürchten wie das Staunen gelehrt hat.

Was aber kann eine Godmother Of Punk im Alter anderes werden, wenn sie sich treu bleibt, als eine schrille Tante, von der man noch nicht einmal mit hundertprozentiger Überzeugung sagen kann, sie habe das Herz auf dem rechten Fleck?

 Die Single „Unity“ ist saucool

Beeindruckt hat Nina Hagen durchaus, als sie vor zwei Jahren, mit der Funk-Legende George Clinton, die Single „Unity“ veröffentlicht hat. Angekündigt als Solidaritätsadresse an die Black-Lives-Matter-Bewegung wurde der Song in den USA allerdings kaum wahrgenommen.

Die Punk Nina Hagen im Jahr 1987 (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Horst Galuschka)
Nina Hagen ist Ikone des Punks in Deutschland. Ihr Erfolgsrezept: Tabus brechen und Grenzen überschreiten.

Warum auch? Nina Hagen weiß wohl kaum wovon sie hier singt, wenn sie Einigkeit in einer nicht näher definierten Community und positive „Vibrations“ beschwört. Trotzdem, musikalisch ist „Unity“ saucool, elegant und absolut tanzbar, der eindeutige Höhepunkt auf dem Album selben Namens.

Genausowenig stilsicher wie Nina Hagens Outfits

Zwölf Jahre ist es her, dass Nina Hagen ein längeres Werk veröffentlicht hat, das letzte bestand aus Coverversionen. Auch jetzt bedient sie sich an der amerikanischen Musikgeschichte, mit dem Arbeitersong „16 Tons“, dem alten Louis-Armstrong-Hit „Shadrack“, vermutlich Nina Hagens christlichem Glauben geschuldet, und einer deutschen Version von Dylans „Blowin’ In The Wind“.

„Unity“ ist musikalisch ein ähnlicher Stilmix wie die Outfits der Künstlerin, und genausowenig geschmackssicher. Man kann immerhin einmal mehr feststellen, dass das von Herbert Grönemeyer gegründete Label Grönland Records, bei dem „Unity“ erscheint, seinen Künstler*innen wirklich größte künstlerische Freiheit gibt.

Nina Hagen in ewigen Ehren

Am Ende ist „Unity“ wohl eine Art Bestandsaufnahme der Person Nina Hagen, ein exzentrischer Versuch, der Welt Liebe und etwas Kraft zu geben und Freiheit für alle zu beschwören. So wenig dieses Album Lust macht, es ein zweites Mal durchzuhören, ist es aber doch eine schöne Erinnerung an die Existenz unserer skurrilen Bundes-Tante Nina.

Die uns schon so lange begleitet, mit Auftritten die zwar anstrengend, aber immer auch aufregend sind. Und trotz ihres Hangs zu Esoterik und Ufo-Quatsch hat sie sich nicht vor den Karren der Querdenker spannen lassen.

Nina Hagen ist so wahnsinnig untypisch für dieses Land und seine Leute. Lasst sie uns trotz ihres, nein, aus Anlass ihres neuen Albums in Ehren halten.

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