Immergleiche Klischees
Rammstein haben ein neues Album veröffentlicht: Im deutschen Feuilleton hat man die Messer gewetzt und ist einmal mehr bereit, sich gegenseitig mit kunstvollen Metaphern darin zu überbieten, die Band Rammstein einfach nur furchtbar zu finden. Zu provokativ, zu stumpf, zu rechts angehaucht: All diese immergleichen Klischees, die medial um Rammstein aufgebauscht werden, sind fast noch klischeehafter als die Band selbst.
Doch während man in den Feuilletons bei jedem neuen Album erneut auf die international erfolgreichste Rockband des Landes eindrischt, verkaufen die Berliner innerhalb von Sekunden Tickets für ganze Fußballstadien überall auf der Welt. Wie passt das zusammen?
Das Gesamtkunstwerk funktioniert nur in seiner Summe
Pickt man sich aus dem komplexen Gebilde, aus dem sich Rammstein zusammensetzt, nur eine der Komponenten heraus, ist es leicht, ein vernichtendes Urteil über die Band zu fällen. Doch es lohnt ein näherer Blick auf das große Ganze.
Um Rammstein zu verstehen, muss man das Gesamtkunstwerk auch als solches betrachten: Der brachiale Industrial-Sound, die drastischen Texte voller doppelter Böden, die optische Erscheinung, die explosiven Bühnenshows – all das funktioniert nur in der Summe. Kein Element für sich alleine ist in der Lage, die Sprengkraft zu entwickeln, die das Phänomen Rammstein auszeichnet. Denn das Gesamtkunstwerk Rammstein lebt von zahlreichen feinen Brüchen, die inmitten der gezielten Provokationen der Band häufig untergehen.

Deutschland wird karikiert
Eine faschistisch-nationalistische Ästhetik auf der Bühne, das markant-rollende „R“ beim Sänger, ein Spiel mit vermeintlich eindeutigen Floskeln: Wer Rammstein in die rechte Ecke drängen möchte, hat ein leichtes Spiel. Doch diese Zuordnung lässt außer Acht, dass Rammstein diese nur auf den ersten Blick klaren Anspielungen in einen anderen Kontext überführen, sie sogar ins Lächerliche ziehen.
Till Lindemann ist als Texter häufig der Ausgestalter doppelter Böden, die dann im Zusammenspiel der Band noch eine dritte, vierte und fünfte Ebene dazu erhalten. Vermutungen und Interpretationsspielraum zeichnen Rammstein aus.
Rammstein spielen nicht nur mit Symbolen, sondern vor allem mit Stereotypen. Immer wieder im Fokus steht Deutschland, das Klischee „typisch-deutsch“ wird von der Band karikiert.
Im Ausland erkennt man die Satire
Dies geschieht textlich („Schönes Fräulein, Lust auf mehr? / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr! / Schnaps im Kopf, du holde Braut / Steck Bratwurst in dein Sauerkraut“ aus: Pussy) oder beispielsweise im Video zum Song „Deutschland“, das unter anderem die NS-Zeit aufarbeitet und schwarze Frauen als KZ-Aufseherinnen den Schrecken des Holocaust darstellen.
Doch gerade in Deutschland tut man sich schwer, die Ironisierung der eigenen schrecklichen Geschichte zu ertragen. Im Ausland, wo Rammstein eine ganze Spur erfolgreicher sind, fällt diese Rezeption deutlich leichter.
Man erkennt die überspitzte Satire, während man hierzulande selten über das Sich-Abarbeiten an Tabubrüchen und gezielten Provokationen hinauskommt. Darin liegt die Einzigartigkeit Rammsteins und das geht weit über die pure Lust am Skandal hinaus.
Rammstein nehmen sich selbst nicht ernst
Die Bilder, die Rammstein in ihren Songs entwerfen, entfalten sich erst bei ihren Live-Auftriten vollständig. Bombast, Pathos und Maßlosigkeit treffen auf Gesellschaftskritik, Satire und Selbstironie.
Dabei haben die Shows von Rammstein mit einem klassischen Rock-Konzert nur den Rahmen gemein. Die dramaturgisch aufwändigen Bühneninszenierungen mit Outfitwechseln, Pyrotechnik und Schauspieleinlagen erinnern eher an eine moderne Oper als an ein Konzert.

Rammstein nehmen sich allerdings selbst nicht zu ernst, wie sie gerade im Video zur aktuellen Single „Zick-Zack“ beweisen: Kein Kostüm ist zu albern, kein Bandmitglied ist sich für die eigene Verballhornung zu schade.
Damit brechen sie mit ihrem sonst so uniformiert und steif wirkenden Image. Auch hier lässt sich der Band, deren Kunst vor phallischen Symbolen und lüsternen Blicken auf den weiblichen Körper sonst nur so strotzt, vorschnell Machotum unterstellen, wenn man nicht zwischen den Zeilen liest.
Brüche in der Ästhetik
Deutlich wird dies auch an den Rammstein-Balladen, die mit ihrem Minimalismus auf den Alben herausstechen, gar mit der Musik brechen, wenn sie zwischen den harten Riffs für klare Zäsuren sorgen. Wenn in „Dalai Lama“ auf Goethes Erlkönig angespielt wird, oder in „Frühling in Paris“ Edith Piafs „Non, je ne regrette rien“ zum Finale des Songs wird, bricht dies mit der für Rammstein typischen Ästhetik.
Erstaunlicherweise ist es ausgerechnet das Thema Liebe, das viele der Alben von Rammstein dominiert. Die Liebeslieder sind mit die stärksten der Band – auch hier findet sich ein erneuter Bruch mit ihrer vermeintlich so toxischen Männlichkeit, wenn sich Rammstein zumeist von einer verletzlichen und ängstlichen Seite zeigen.

Der Zündstoff geht ihnen eben nicht aus
Das musikalische Korsett Rammsteins ist schon seit den 1990ern eng geschnürt, der Industrial bietet nur wenig musikalischen Spielraum für Varianz und der typische „Rammstein-Sound“ hat sich in den letzten, knapp 30 Jahren kaum verändert. Das gilt auch für „Zeit“, das soeben erschienene achte Studioalbum der Band, bei dem schon im Vorfeld Vermutungen grassierten, es sei das letzte der Band.
Wenn Till Lindemann immer wieder die Vergänglichkeit besingt, kommt man nicht umhin zu fragen, ob auch Rammstein ihr Ende erreicht haben. Haben sie nach all den Jahren fertig provoziert, das Ende der Fahnenstange erreicht? Können Rammstein auch in ihrem achten Album noch polarisieren?
Wer nur sieht, was er sehen will, der wird bei Rammstein auch weiterhin fündig und wer das Konzept Rammstein einmal verstanden hat, dessen Herz werden sie auch mit diesem Album zum Schlagen bringen.
Als „Sechs Herzen die brennen“ besangen sich Rammstein in den Nullerjahren selbst. Und auch 28 Jahre nach Bandgründung verfügt diese Band noch über genügend Zündstoff, um Fans und Kritiker*innen gleichermaßen in Flammen zu stecken. Na dann, wie Rammstein sagen würden: Feuer frei.