Als Jimi Hendrix 1970 starb, steckte die Festivalkultur noch in ihren Kinderschuhen. Nur wenige große Events fanden damals statt. Mittlerweile gibt es Festivals an allen Ecken und sie sind ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Musikkultur. Heute wäre Jimi Hendrix 80 Jahre alt. Wie fände er wohl die Vielfalt der Festivals heute? Würde Headliner Hendrix im Jahr 2022 überhaupt funktionieren?
- Der Sound
Etwas, das Jimi Hendrix an den heutigen Festivals sicherlich nicht gefallen würde, wären die Dezibelgrenzen: Mit mindestens zwei Marshall-Verstärkern auf Anschlag schuf der Gitarrist das bis heute bekannte, ohrenbetäubende „Hendrix-Setting“.
Vermutlich wäre Hendrix mittlerweile ohnehin taub, wie andere Vertreter seiner Zunft: Pete Townshend von „The Who“ ruinierte sich mit den Röhrenverstärkern noch in den 60ern sein Gehör.
- Die Infrastruktur
In Woodstock gab es damals nur 600 Toiletten für hunderttausende Festival-Fans. Man kann sich den wortwörtlichen Shitstorm nur vorstellen, würden Rock am Ring, Southside und Konsorten bei den sanitären Anlagen derart geizen. Auch Sicherheitsmaßnahmen wie Zäune oder Wellenbrecher waren in den 60er Jahren noch nicht so ausgereift wie heute.
Ganz zu Schweigen von den prunkvollen Backstage-Bereichen unserer Tage, in denen sich Diva Hendrix sicherlich wohlfühlen würde. Ein klarer Punkt für die Festivals heutzutage.
- Die Line-Ups
Wie Hendrix wohl darauf klar käme, dass Rockmusik mittlerweile nicht mehr so angesagt ist? Die großen Festivals werden längst auch von Pop oder Hip-Hop Artists geheadlined. Freigeist Hendrix war schon in den Sechzigern kein Fan von aalglatten Pop-Produktionen:
Dennoch gäbe es auch für Hendrix die richtige Nische. In der vielfältigen Festivalwelt gibt es zahlreiche Events, die nur dem Genre Rock fröhnen und auf denen sich Hendrix sicher wohlfühlen würde.
- Die Gagen
1969 galt Hendrix als der teuerste Musiker der Welt. Auch in Woodstock war Jimi Hendrix der mit Abstand bestbezahlte Musiker: Für seinen Auftritt erhielt er damals 18.000 Dollar, was heute knapp 130.000 Dollar entspräche.
Unwahrscheinlich, dass ein Künstler dieses Formats heutzutage für so einen Betrag eine Festival-Show spielen würde, kosten doch alleine die Tickets für Besucher*innen mittlerweile ein Vielfaches. Für einen Headliner wie Hendrix müssten Veranstalter also tief in die Tasche greifen – nichts für die kleinen, persönlich geführten Festivals.
- Die Skandale
Die Masse liebt exzentrische Musiker, die es auf der Bühne darauf ankommen lassen. Das war schon 1967 so, als Hendrix in Monterey seine Fender Stratocaster in Brand steckte.
Auch heute gelten Bad Boys und Skandalnudeln wie Pete Doherty als Publikumsmagneten. Zerlegte Hotelzimmer und Bühnen, eskalierende Shows: Hendrix würde sich auch heute gut im Rock-Business einfügen – vor allem, weil er es mitbegründet hat. Die Chancen stehen gut, dass auch ein alter Hendrix ein jüngeres Publikum für sich vereinnahmen könnte.
- Die Besuchermassen
Jimi Hendrix war kein großer Freund von Menschenmengen. In Woodstock verschob er seinen Auftritt eigenmächtig auf den frühen Montagmorgen, weil er nicht vor so vielen Leuten spielen wollte.
Da hätten die großen europäischen Festivals wie das Glastonbury also schlechte Karten: Auch wenn sie sich im Gegensatz zu kleineren Festivals einen Auftritt von Hendrix leisten könnten, käme er vermutlich nicht, weil es ihm zu voll wäre.
- Das Internet
Das Internet vergisst nicht und lustlose Auftritte werden in den Zeiten von Instagram und YouTube hart abgestraft. Einmal vollgedröhnt ein Konzert vermasseln? Noch bevor Hendrix von der Bühne wäre, wüsste die ganze Welt von seinem Fehltritt.
Den eigenen Auftritt spontan ein paar Stunden nach hinten schieben, weil es im Backstage gerade angenehmer ist, oder apathisch und gelangweilt eine Show herunterspielen, das war bei Hendrix' Konzerten keine Seltenheit. Der lautstarke Unmut der Fans wäre ihm im digitalen Zeitalter sicher. Daher: Punkt für die Sechziger.
- Das Wetter
Es gibt Dinge, die ändern sich eben nie. Schon Woodstock versank im Schlamm und bei Hendrix' letztem Festivalauftritt auf der Ostseeinsel Fehmarn war es auch das Wetter, das eine reibungslose Show verhagelte. Kurzerhand musste der Auftritt witterungsbedingt um einen ganzen Tag verschoben werden.
Viele Festivals machen aus der wechselhaften Wetterlage mittlerweile eine Tugend und machen mieses Wetter kurzerhand zu ihrem Markenzeichen. Auf den schlammigen Äckern des Wacken Open Air würde sich Jimi Hendrix sicher heimisch fühlen. Rain or Shine!