Musikthema

Jazzmusik während des faschistischen Regimes in Italien

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AUTOR/IN
Thomas Migge

Jazz-Hören war während des Dritten Reichs ziemlich gefährlich und das gilt auch für den italienischen Faschismus. Aber in Italien gilt: Wo es ein Gesetz gibt und ein Verbot, findet sich immer auch ein Ausweg. Seit Jahren erforschen Italiens Musikwissenschaftler die widersprüchlichen Beziehungen zwischen Mussolini-Regime und Jazz.

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Parallelen zum Dritten Reich

Swing von Tullio Mobiglia, wie “Oh Marie”, wurde nicht nur in italienischen Tanzschuppen gespielt, sondern wahrscheinlich auch in der Villa Torlonia in Rom, wo Diktatur Benito Mussolini und seine Familie, darunter auch sein Sohn Romano, lebte, der nach Kriegsende einer der bekanntesten Jazz-Interpreten Italiens wurde.

Die Forschungen verschiedener Musikwissenschaftler brachten in den vergangenen Jahren interessante Hintergründe zu diesem Thema ans Tageslicht. Ganz generell kann gesagt werden, dass wie im Dritten Reich auch im Faschismus die so genannte “la musica dei negri”, verboten war.

Plakat mit Aufschrift Entartete Musik. Obszöne Verschandung des Posters für "Jonny Spielt Auf" (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / CPA Media Co. Ltd | -)
Jazz war auch bei den Nationalsozialisten verboten. Diese Grafik entstand im Rahmen der Propaganda-Ausstellung „Entartete Musik“ und verhöhnt das Cover von Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“.

Politische Hü und hott

Aber wie auch bei anderen Verboten im ideologisch elastischeren Italien war Jazz zu hören: in Privatwohnungen, in Tanzschuppen und in den Villen der faschistischen Führungsriege. Das Verhältnis des Faschismus zum musikalischen Genre Jazz sei ein ständiges “Hü und hott” gewesen, meint die Musikwissenschaftlerin Camilla Poesio, die zum Thema verschiedene Schriften veröffentlicht hat.

„Das faschistische Regime schwankte ständig, wie auch in der Malerei, im Theater und so auch in der Musik zwischen dem Befürworten ganz neuer Stilrichtungen und dem Bewahren des Traditionellen.“

Verbot ab 1937/38

Vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten des Regimes überwiegte, trotz der entschiedenen Verurteilung ausländischer Kultureinflüsse, ein musikalisches laissez faire, so der Musikhistoriker Luca Cerchiana, der das Thema Jazz und Faschismus seit Jahren studiert.

„Bis in die späten 1930er Jahre hinein, also bis zur Annäherung Mussolinis an Hitler, wurde Jazz überall gespielt, gehört und toleriert. 1937 und 38 wurde Jazz offiziell verboten, als musikalische Ideologie der demokratischen Plutokratien.“

„Italienisierung“ des Jazz führt zum „gez“

Doch die Verbote des Regimes änderten nichts am weiterverbreiteten Musikgeschmack vieler Italiener, deshalb wurde das musikalische Phänomen Jazz “italianisiert”. Auftritte schwarzer Jazzmusiker und –sänger aus dem Ausland waren fortan untersagt. Stattdessen sangen und spielten italienische Bigbands, Sänger und Ensembles.

Sie sangen natürlich in Italienisch und die Trompete wurde durch als vermeintlich typisch italienische Instrumente ersetzt, wie etwa das Schifferklavier. Aus dem Wort “Jazz” wurde das italienische “gez”, das noch heute genutzt wird. Jazz-Produktionen waren während der Zeit des Regimes alles andere als eine Seltenheit, es gebe noch viel zu entdecken, so Cerchiana.

Widersprüchliche Politik

Der widersprüchliche Umgang des Regimes mit dem Jazz wird am deutlichsten an der Person des “gez”-Musikers Gorni Kramer. Er schrieb rund 1.000 “canzoni”, von denen viele, wie hier “Pippo non lo sa” große Schlager wurden. Sogar ab 1938, als selbst die italienische “gez”-Produktion vom Regime offiziell boykottiert wurde, konnte Kramer weiterarbeiten, Schallplatten produzieren und, allerdings ohne dafür zu werben, auftreten.

Gorni Kramer arbeitet während des 2. Weltkriegs mit anderen mit Auftrittsverboten belegten Musikern zusammen – konkrete Verfolgung, Verhaftung oder auch Deportation hatten sie nicht befürchten. 

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