Das Gesamtkunstwerk „Queen Bey“
„Genie ist 1 Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration“ — dieses Zitat von Glühbirnen-Erfinder Thomas Alva Edison scheint wie eine Leitstern über der Karriere von Pop- und R&B-Ikone Beyoncé zu stehen. Was ihre Kunst und Person so überzeugend macht, ist die präzise Inszenierung mit der alles präsentiert wird — Beyoncé ist ein meisterhaft ausgearbeitetes Gesamtkunstwerk.
Von Destiny's Child bis Lion King
Die Karriere der in Houston, Texas, geborenen Sängerin und Schauspielerin ist eine Blaupause aller Pop- und „Black-Music“-Entwicklungen des 21. Jahrhunderts: Beginnend mit den komplett durchchoreografierten Auftritten ihrer Girlgroup „Destiny's Child“, die den R'n'B-Hype der späten 1990er und 2000er Jahre entscheidend prägte, über ihre Solo-Anfänge als erfolgreiches R'n'B-Feature für Hip-Hop- und Dancehall-Größen wie Jay-Z und Sean Paul, ihre Emanzipation vom ursprünglichen Image mit Power-Soul-Pop-Hymnen wie „If I Were A Boy“ oder „Halo“ bis hin zu ihren inzwischen durchaus auch politisch interpretierten und entworfenen Visual Alben der 2010er Jahre, darunter „Lemonade“ und „Black is King“.
Ihre Veröffentlichungen und ihr Stil reflektieren Wendepunkte im Selbstverständnis, aber auch in der Außenwahrnehmung afro-amerikanischer Kultur: Bemerkenswert etwa, als 2018 mit Virgil Abloh der erste afro-amerikanische Designer verantwortlich für die Herren-Linie des traditionsreichen Pariser Modehauses Louis Vuitton wird, stehen kurz darauf die „Carters“ im wahrscheinlich bekanntesten Kunst-Tempel der Welt, dem Pariser Louvre, für ihr Video „Apeshit“ — Liberté, Égalité, Beyoncé. Die afro-amerikanische Kultur des 21. Jahrhunderts und ein großer Teil der medial präsenten Pop-Kultur ist ohne sie nicht mehr denkbar.
Ein feinsäuberlich konstruiertes Image
Der Erfolg liegt zum einen natürlich am unbestreitbaren Talent der Künstlerin: Sie singt, schauspielert, produziert. Doch Talent ohne Disziplin führten bei vielen Teenie-Stars zum schnellen Ruhm und fast noch schnelleren Absturz — Beyoncé ist keine von ihnen. Auch nach über dreißig Karrierejahren ist ihre Disziplin eisern und ihr Einsatz für ihre Projekte liegt bei mindestens 100 Prozent, wie die 2013 erschienene HBO-Doku „Life Is But A Dream“ auf teilweise auch etwas beängstigende Weise zeigt.
Eigenes Talent und Disziplin sind nur die Basis, auf denen Beyoncés weltweiter Siegeszug aufbaut: Sie umgibt sich mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit, potenziert ihr eigenes Talent durch erfolgreiches Zusammenarbeiten mit fremdem Talent. Nicht immer konfliktfrei, denn während einerseits Künstler*innen von der entspannten Atmosphäre in Beyoncés Songwriter-Camps schwärmen, kritisieren andere, dass sich Beyoncé selbst für manch kollektive Leistung Songwriting-Credits geben lässt.
Wie feministisch kann ein globaler Pop-Star überhaupt sein?
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind auch ihre Themen: Parallel zu einer breiteren gesellschaftlicheren Debatte in den letzten zehn Jahren sind Feminismus und Rassismus immer prominenter in Beyoncés Werk geworden. Ansätze davon waren bereits in der „Girl-Power“-Attitüde von Destiny's Child-Hits wie „Independent Women“ zu erkennen, später in „Run the World (Girls)“, doch engültig zentral wurde das „F-Wort“ mit einem Sample von Chimamanda Ngozi Adichies legendärer Rede „We should all be feminists“ auf „Flawless“ im Jahr 2013.
Beyoncé — „***Flawless“:
Während die Medien sich vor Begeisterung überschlugen, kam Kritik vor allem von schwarzen Feministinnen wie bell hooks, die Beyoncé als „Terroristin“ gegen Feminismus bezeichnete, die ihr Publikum aus jungen Mädchen negativ beeinflusse. Und auch Autorin Adichie selbst blieb zurückhaltend: Sie erklärte, dass Beyoncés Art des Feminismus nicht mit ihrer eigenen übereinstimme, insbesondere was den großen Platz beträfe, der Männern dort eingeräumt werde.
Wenn etwa die außereheliche Affäre des Ehemanns (wie in „Lemonade“) einerseits als Hintergrund einer Empowerment-Geschichte genutzt wird, andererseits dabei doch wieder die Geschichte einer schwarzen Frau erzählt wird, die bei ihrem untreuen Mann bleibt. Die Sängerin selbst antwortete damit, dass sie vor allem die wahre Bedeutung einer feministischen Person auf ihrer Plattform herausstellen wolle: „Jemand, der*die an gleiche Rechte für Männer und Frauen glaubt.“
Gegen Polizeigewalt, für Black Lives Matter
Ihre Plattform nutzt Beyoncé auch, um der Black Lives Matter-Bewegung mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen: So traten im Film zu „Freedom“ vom Album „Lemonade“ 2016 die Mütter der durch Polizeigewalt getöteten Trayvon Martin, Michael Brown und Eric Garner mit Bildern ihrer Söhne auf. Außerdem unterstützen die Sängerin und ihr Mann die Bewegung regelmäßig mit größeren Spenden, unter anderem nach den Protesten in Ferguson, Missouri, 2014.
Während dieses Engagement gegen Polizeigewalt schon umstritten war, sorgte die Sängerin 2016 beim Superbowl — also einem der größten medialen Spektakel der USA — für einen Eklat, als sie in ihrer Show zur Halbzeit Bezug auf die „Black Panther“-Bewegung nahm. Diese Bürgerrechtsgruppe wird von vielen weißen US-Amerikaner*innen als Terror-Gruppe gesehen.
„Say it loud: I'm black and I'm proud!“
Die Symbolkraft Beyoncés gewinnt noch weiter in einer postkolonialen Welt: Auf „Black is King“, ihrem von der Mitarbeit am Disney-Blockbuster „Der König der Löwen“ 2019 inspirierten Visual Album, erreicht die global orientierte schwarze Selbstermächtigung vorerst einen Höhepunkt.
Wieder zeigt Beyoncé, dass ihre Arbeit am Puls der Zeit bleibt: Mit Features wie den Afrobeats-Superstars Tiwa Savage und WizKid, Wassalou-Sängerin Oumou Sangaré, aber auch im Stil und mit traditionellen Haartrachten, nimmt sie immer weiter Bezug auf den afrikanischen Kontinent und dessen aufstrebende kulturelle Präsenz in der Welt. Ob Beyoncé selbst gewisse koloniale Ausbeutungsmuster reproduziert, wenn sie ihre Modelinie „Ivy Park“ in Sweatshops in Sri Lanka produzieren lässt, sei dahingestellt.
Beyoncé, Blue Ivy, SAINt JHN, WizKid — „BROWN SKIN GIRL“:
Und damit schließt sich der Kreis: Eine globale, internationale Pop-Kultur und Musik-Welt im Kapitalozän kann kaum passender als in einem Superstar vom Format Beyoncés verkörpert werden. Sie ist, wie Musikkritiker Jody Rosen im „New Yorker“ richtig schreibt, „die wichtigste und überzeugendste Pop-Musikerin des 21. Jahrhunderts... das Resultat, der logische Endpunkt einer über hundert Jahre andauernden Geschichte des Pop.“