Buchkritik

Wer hat die Macht zu hassen? Seyda Kurt fragt in „Hass“ nach Kontext und Sinn eines Gefühls

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AUTOR/IN
Stephanie Metzger

Mit „Radikale Zärtlichkeit“ hatte Seyda Kurt ein Buch über die Liebe geschrieben. Darin entwickelte sie Ideen, wie neue Beziehungsmodelle unsere Gesellschaft gerechter und freier machen könnten. Ein Unwohlsein blieb, denn Liebe und Zärtlichkeit hat Grenzen. Deshalb jetzt ihr Nachdenken über den Hass. Schonungslos, ehrlich und voller kluger Erkenntnisse über ein äußerst politisches Gefühl.

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„Es braucht nicht viel, um zu hassen. Es braucht kein Geld, keine Kirche, keine Institution, keine Infrastruktur. Ein Ritual vielleicht. Doch vor allem braucht es eine Erfahrung als ein Körper in der Welt. Wenn ich hasse, hört die Unterdrückung zwar nicht auf, aber meine Antwort kann sich verändern, meine Antwortmöglichkeiten.“

Ein schonungsloser Blick, der nicht moralisiert

Hass als Antwort: Die Autorin Seyda Kurt kennt dieses Gefühl. Doch ihre Antwort reicht weiter als der individuelle Reflex. In ihrem Fall der auf die Mutter, auf soziale Ausgrenzung und ein Trauma, das sie von den Eltern geerbt hat, die aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind. 

Ein ganzes Buch hat Seyda Kurt nun über den Hass geschrieben und schöpft darin viele Antwortmöglichkeiten aus. Ohne Vorbehalte blickt sie sich selbst in den Spiegel und hält einen solchen auch Gesellschaften vor, die Hass säen und denen Hass entgegenschlägt. Kurt schreibt schonungslos, ohne zu moralisieren, das macht neugierig.

„Mir geht es ja vor allem erst einmal darum, in dem ersten Schritt, diese Geschichte sichtbar zu machen, die der Hass nun einmal hat, obwohl er ja immer derart verpönt war und auch entmenschlicht wurde, dass er eigentlich kaum einer eigenen Geschichte würdig zu sein schien.“

Dem Gefühl wird eine konstruktive Dimension gegeben

Hass und Herrschaft, um dieses Verhältnis geht es Seyda Kurt im Kern. Nicht linear oder stringent verfolgt Kurt die Macht dieses widerständigen Gefühls. In fragmentarischen Träumen, im Nachdenken über den Existenzialismus eines Albert Camus oder über Theorien zum Kolonialismus bei Frantz Fanon spürt sie ihm nach.

Sie erinnert an die Geschichten von antifaschistischen Widerstandsgruppen, an Kämpferinnen gegen die Diktaturen in Spanien und in der Türkei. Die Qualität dabei: Widersprüche bleiben bestehen, Fragen werden nicht weniger, Antworten nicht leichter. Zugleich wird die Idee, dem Hass eine konstruktive Dimension zu geben, komplexer.

Hass als Teil der Liebe begreifen

„Mir geht es schon um die Fragen von Kollektivität und wie auch diese Politiken des Hasses letztendlich in Politiken der Zärtlichkeit transformiert werden können“, sagt Seyda Kurt. Und hier schließt sich ein Kreis zu ihrem ersten Buch.

In „Radikale Zärtlichkeit“ erforschte die Autorin Möglichkeiten der Liebe die sich von Patriachat, Kapitalismus und Rassismus frei machen könnte. Dass sie diesen Praktiken der Zärtlichkeit jetzt den Hass an die Seite stellt, erweitert und vertieft ihren Blick auf die Verstrickung der Gesellschaft in ganz widersprüchliche Gefühle.

Dieser Gleichzeitigkeit und Widersprüchlichkeit essayistisch und doch in präziser Analyse Raum zu geben, ist die Leistung dieses Buches. An keiner Stelle nimmt es einem das Unbehagen und steckt trotzdem voller Hoffnung.

Buchkritik Şeyda Kurt - Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist

Unsere Beziehungen sind geprägt von Sexismus und Rassismus, schreibt Şeyda Kurt in ihrem klugen und unterhaltsamen Buch „Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist.“ Um das zu ändern, reiche es aber nicht, einfach mehr Liebe in die Welt zu streuen. Şeyda Kurt plädiert dafür, dass wir unsere Normen der romantischen Liebe grundsätzlich überdenken.
Rezension von Maja Pfeifle.
HarperCollins Verlag, 224 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-74990-114-2

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