Gespräch

„Was ist sagbar?“ Schriftstellerin Mithu Sanyal über „Cancel Culture“

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INTERVIEW
Jan Tussing

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Es wurde immer gecancelt, nur jetzt sprechen wir auch darüber, sagt die Schriftstellerin und Journalistin Mithu Sanyal im Gespräch mit SWR2. Zum Beispiel sei ihre Lieblingsautorin als Kind, Enid Blyton, immer wieder radikal umgeschrieben worden.

Sanyal ist eine von zwölf namhaften Autoren und Autorinnen, die die Problematik im Sammelband „Canceln – ein notwendiger Streit“ diskutieren.

SWR2-Buchkritik zu „Canceln – ein notwendiger Streit“:

SWR2 lesenswert Kritik Annika Domainko, Tobias Heyl, Florian Kessler, Jo Lendle, Georg M. Oswald (Hrg.) – Canceln. Ein notwendiger Streit

Im Kulturbetrieb geht die Angst um. Nicht nur, aber besonders der so genannte "alte weiße Mann" muss sich davor in Acht nehmen, gecancelt zu werden. WasCancelnheißt, welche positiven und negativen Folgen die Debatte im Literaturbetrieb hat – das versucht nun ein Sammelband des Hanser Verlags zu klären.

Hanser Verlag München, 224 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-446-27613-0

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Wichtig sei zu klären, „wie können wir mit Büchern umgehen, die wir teilweise wirklich falsch, teilweise wirklich gefährlich finden, ohne sie einfach nur zu verbieten?“

Es sei wichtig wahrzunehmen, dass auch etwas, das falsch ist, an anderen Punkten wertvoll sein kann, meint Sanyal.

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Überarbeitete Kinderbücher Gelassenheit statt Kulturkampf: Die Debatte um Änderungen in Roald Dahls Büchern

Die Bearbeitung von Kinderbüchern von Roald Dahl hat einen heftigen Streit um Zensur ausgelöst. Aber handelt es sich wirklich um Zensur? Oder vielleicht eher um den zeitgemäßen Versuch, diese Texte von Stereotypen und Diskriminierung zu befreien? Der Literaturwissenschaftler Johannes Franzen von der Universität Siegen hat sich mit Roald Dahls Büchern beschäftigt und rät zu Gelassenheit.
Roald Dahl ist bekannt und auch geliebt für seinen schwarzen Humor und die Gemeinheiten in seinen Geschichten. Auch Kinder lieben ihn dafür. Wenn nun in aktuellen Bearbeitungen Begriffe, die verletzend wahrgenommen werden, verändert werden, mag das diesen Charakter der Bücher Dahls schmälern. Nicht aber die Inhalte und Stories so verändern, dass sie nicht wiedererkennbar wären, meint Johannes Franzen. Die Notwendigkeit oder zumindest das Interesse an den Anpassungen sieht der Literaturwissenschaftler auch ganz pragmatisch. Etwa auf Seiten der Erbengemeinschaft von Roald Dahl, deren Anliegen es gerade in Hinblick auf den Verkauf von Rechten ist, dass die Bücher zeitgemäß bleiben.
Kinderbücher als besondere Fall in der Debatte
Für das Genre „Kinderbuch“ ist die Frage um Adaptionen und Aktualisierung besonders spezifisch. Einerseits, so Franzen, ist Kindern die philologische Integrität von Büchern relativ egal. Sie wollen gute Geschichten lesen. Andererseits sind Kinder zugleich schutzloser, können Dinge nicht so einfach kontextualisieren. Das wäre die Aufgabe der Eltern, denen oft die Kapazitäten und vielleicht auch die Lust dazu fehlen. Adaptionen und Veränderungen, die ja auch für andere Stoffe längst üblich sind, kennt man deshalb schon lange.
Tradition der Adaption
Auch für die Stoffe von Roald Dahl gibt es diese Adaptionen schon länger. Angesichts der kritikwürdigen Person Dahl – er war offener Antisemit – kein Wunder. Zugleich, so Franzen, könnte man auch die Frage stellen, warum Bücher, in denen es so explizit auch immer wieder um das Bestrafen und Auslagen geht, tatsächlich noch Relevanz haben sollten. Aber das ist ein Prozess, der gesellschaftlich verhandelt werden muss. Was Dahl betrifft, faszinieren viele Leser seine Figuren und Geschichten bis heute.
Gelassenheit statt Kulturkampf
Die von Salman Rushdie nun ausgelöste heftige Debatte führt Johannes Franzen eher auf eine Politisierung des Umgangs mit Literatur zurück. Schon Dahl selbst hat unter Einfluss von Verlegern und seinem Umfeld seine Figuren und Geschichten verändert und bearbeitet. Im Streit jetzt geht es leider weniger um eine differenzierte Betrachtung von Literatur und ihrer Rezeption, sondern um die Vereinnahmung dieses Falls in die Debatte um linke und linksliberale Cancel-Culture.

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Im Feuilleton mehren sich kritische Stimmen über „Wokeness“ und „Cancel Culture“ auf Bühnen. Der Vorwurf: Die Theater und Bühnen betrieben Aktivismus auf Kosten der Kunst. SWR2 Musikredakteurin Hanna Schmidt wundert sich, dass gewisse Herren sich jetzt über hochpolitisierte Inszenierungen auf der Bühne beschweren, es aber nie über die Arbeit eines Heiner Müller oder Frank Castorf taten. Die aktuelle Ästhethik habe „eine ernsthafte Auseinandersetzung verdient und kein beleidigtes Geraune“, fordert sie in ihrem Kommentar.

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