T. C. Boyle: Sind wir nicht Menschen (Foto: SWR, Hanser Verlag; Imago: Tom Coraghessan)

Buch der Woche

T.C. Boyle - Sind wir nicht Menschen. Stories

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AUTOR/IN
Christoph Schröder

T.C. Boyle ist nicht nur ein großartiger Romancier, sondern gilt auch als Meister der American Short Story. Der aktuelle Band „Sind wir nicht Menschen“ versammelt Erzählungen aus den letzten Jahren, die jetzt auf Deutsch erschienen sind.

Einige sind beklemmend aktuell: Ein Flüchtling muss wegen einer Lungenerkrankung eine Gesichtsmaske tragen und gerät in Konflikte mit dem amerikanischen Gesundheitssystem.

Ein Ehepaar in Kalifornien verzichtet auf Besuch, weil dieser beim Duschen Wasser verbrauchen könnte. Und das ist durch den Klimawandel extrem knapp.

T.C. Boyles neue Stories liefern Zukunftsvisionen und tiefe Einblicke in die US-Gesellschaft, wieder einmal glänzend und unterhaltsam geschrieben

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Ein mexikanischer Imbissbesitzer macht eine folgenschwere Erfindung

Ein Mann betreibt einen mexikanischen Imbiss, irgendwo am Rand einer amerikanischen Stadt. Der Laden läuft mehr schlecht als recht, bis Sal, so heißt der Mann, eines Tages eine geniale Idee hat: Er erfindet den größten Burrito der Stadt, fünf Pfund schwer.

Selbstverständlich ist niemand in der Lage, die gigantische gefüllte Tortilla aufzuessen, doch der Werbeeffekt für das Restaurant ist enorm.

Der Hang zur Verschwendung sucht den Imbissbesitzer in tierischer Form heim

Plötzlich wird Sals Laden zum Szenetreff – bis an einem ganz normalen Morgen der Gemüselieferant an der Tür scharrt, und zwar in Gestalt eines menschengroßen Hühnchens. Zwei Tage später hat sich der Mann, der Sal die Lebensmittel liefert, in ein Schwein verwandelt.

Sals Größenwahn und sein dekadent-verschwenderischer Umgang mit Tierprodukten fallen nun in Form einer surrealen Heimsuchung auf ihn zurück.

Die Natur und ihr Schutz ziehen sich wie ein roter Faden durch Boyles Werke

T.C. Boyle ist zum einen ein Rebell, ein Punk. Zum anderen aber ist er auch ein ökologisch motivierter Hippie. Ressourcenverschwendung, Umweltverschmutzung und der verantwortungslose Umgang mit der Natur ziehen sich als Leitthemen durch viele seine Bücher.

Auch in seinem neuen Storyband sind die besten Geschichten diejenigen, die in einer nicht allzu fernen Zukunft spielen und menschliche Hybris ins Visier nehmen.

Die menschliche Überheblichkeit steht im Fokus

Man konnte sich nicht nur das Geschlecht des Kindes aussuchen, sondern auch alle möglichen anderen Eigenschaften. Es war, als wäre man beim Autohändler, um sich einen neuen Wagen zu kaufen, und ginge die Liste der Sonderausstattungen durch.

Dieses Zitat stammt aus der Titelgeschichte „Sind wir nicht Menschen“, in der zunächst ein kirschroter Bullterrier das verhätschelte Mikroschwein einer alleinstehenden Frau zerfleischt.

Die Stories sind humorvoll, haben aber einen ernsten Kern

Der Nachbar, der den Vorgang beobachtet, macht kurz darauf Bekanntschaft mit der dreizehnjährigen, knapp zwei Meter großen, genetisch optimierten Besitzerin des Bullterriers. Einige Stunden später konfrontiert ihn seine Frau mit ihrem Kinderwunsch. Den Termin im Gen-Labor hat sie bereits ausgemacht.

Schon bei dieser Zusammenfassung wird klar: T.C. Boyles Storys verfügen über beißenden Humor, zupackenden Witz und sind ausgesprochen unterhaltsam. Aber sie tragen stets einen ernsten Kern in sich.

Autor TC Boyle (Foto: Hanser Verlag - Peter Hassiepen)
T.C. Boyle

Beklemmende Bezüge zur Realität

Und: Sie sind niemals so grotesk überzeichnet, als dass man nicht bemerken würde, dass die grell ausgemalten Zukunftsfantasien schon im Begriff sind, Wirklichkeit zu werden.

Besonders beklemmend ist die letzte Geschichte des Bandes: Ein Flüchtling, der in illegalen Jobs ausgebeutet wird, hat sich mit einer gefährlichen Lungenkrankheit infiziert. Er wird von den Behörden gejagt, weil er keine Gesichtsmaske getragen hat.

Erbärmlich und gedemütigt lag er da, und er sah, wie sie stehen blieben und ihre Masken aufsetzten, bevor der Typ vom Gesundheitsamt sich zu ihm hinunterbeugte und ihm Handschellen anlegte.

Boyle wird nicht didaktisch, sondern bleibt stets Geschichtenerzähler

Persönliche Freiheit versus Verantwortlichkeit für das Gemeinwesen – auch diesen Konflikt verhandelt T.C. Boyle immer wieder auf unterschiedlichen Ebenen.

Boyle hat dabei einen Blick für die Schwachen und Unterprivilegierten. Aber er wird niemals didaktisch, sondern bleibt ein glänzender Geschichtenerzähler, auf der Suche nach dem Amerikanischen in Amerika.

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Christoph Schröder