Buchkritik

Tade Thompson – Fern vom Licht des Himmels

Stand
AUTOR/IN
Marten Hahn

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Ein Roboterwolf, ein flüchtiger Mörder und jede Menge Leichen: Der preisgekrönte Science-Fiction-Autor Tade Thompson hat einen neuen Roman vorgelegt. Mit "Fern vom Licht des Himmels" ist dem Schriftsteller ein ungewöhnlicher Genre-Mix gelungen.
Rezension von Marten Hahn.

Aus dem Englischen von Jakob Schmidt
Golkonda Verlag, 348 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-96509-059-0

Arme, Beine, Köpfe – einen ganzen Haufen zerstückelter Leichen entdeckt Michelle „Shell“ Campion eines Tages an Bord ihres Schiffs. Sie erschrickt nicht nur über die Brutalität der Tat. Sie weiß auch: Der Täter kann nicht weit sein. Shell entsendet einen Notruf und bald kommt ein polizeilicher Ermittler an Bord. Gemeinsam mit seinem Assistenten beginnt er die Suche nach dem flüchtigen Massenmörder. – „Fern vom Licht des Himmels", der neue Roman von Tade Thompson, scheint ein klassischer Whodunit. Aber der Krimi ist mehr als das, denn er spielt im Weltraum, in der klaustrophobischen Enge eines havarierten Raumschiffs.

Wer Thompsons bisheriges Werk kennt, den überrascht das wenig. Der nigerianisch-britische Autor gewann 2019 den Arthur-C-Clark-Award, einen der wichtigsten Preise für englischsprachige Science-Fiction. Seine preisgekrönte „Rosewater“-Trilogie über den Erstkontakt mit Aliens spielte aber auf der Erde. In „Fern vom Licht des Himmels“ widmet sich Thompson nun zum ersten Mal dem Weltraum – und das nicht, ohne seine Hausaufgaben gemacht zu haben. Mehr Science, weniger Fiction – so könnte man Thompsons Annäherung ans Thema Raumfahrt beschreiben. Im All gebe es vier Belastungen, listet der Autor auf: körperliche, geistige, zwischenmenschliche und die Bedrohung durch eine lebensfeindliche Umgebung. Realistische Stressfaktoren, die Thompson künstlerisch verarbeitet und gekonnt auf seine Protagonisten loslässt. Denn nicht nur der Mörder ist noch auf freiem Fuß. Auch das Computersystem des Schiffs, scheint sich gegen die Crew zu richten.

Mit viel Empathie und gelegentlichem Humor beschreibt der Autor, was das mit seinen Protagonisten macht. Da ist Shell, die Kapitänin des Raumschiffs namens „Ragtime“, die über rund 1000 schlafende und ein paar tote Passagiere wacht. Da ist Rasheed Fin, der Ermittler, entsandt von dem besiedelten Planeten, über dem die Ragtime kreist. Und da ist ein Vater-Tochter-Gespann, das von einer nahen Raumstation aufgebrochen ist, um nach der Ragtime zu sehen. Nur Salvo, der Kollege des Ermittlers bleibt ruhig, während die Situation immer weiter eskaliert. Aber Salvo ist eben auch ein „Künstlicher“, ein Roboter.

Künstliche Intelligenz spielt bei Thompson keine Neben-, sondern eine Hauptrolle.

Der Autor präsentiert ein ganzes Spektrum an smarten Maschinen: in humanoider Form, in tierischer Form und in körperloser Form als purer Maschinengeist, der Raumschiffe und andere Gerätschaften steuert. Stellenweise beschwört der Autor alptraumartige Szenen herauf, deren Botschaft klar ist: Es ist ein schmaler Grat zwischen Erfüllungsgehilfe und Killermaschine. Aber Thompson spielt nuanciert auf der Klaviatur unserer Maschinen-Angst. Nicht jede KI trachtet uns nach dem Leben. Manche wollen einfach nur ihren Job tun, und sie schätzen es, wenn wir sie anständig behandeln. Manchmal sind Roboter eben auch nur Menschen. Und auf die konzentriert sich Thompson in seinem Weltraum-Krimi. Der Autor verzichtet auf langwierige Beschreibungen komplexer Gadgets. Es gibt auch keine Weltraumschlachten. „Fern vom Licht des Himmels“ ist zu großen Teilen ein Kammerspiel.

Inspirieren ließ sich Tade Thompson für seinen Roman von einem Klassiker aus dem Jahr 1841: Edgar Allen Poes „Die Morde in der Rue Morgue“. Die Kurzgeschichte handelt vom brutalen Mord an zwei Frauen. Die rätselhafte Tat ereignete sich in einem von innen verschlossenen Zimmer einer Pariser Wohnung. Wer Thompsons Roman liest und danach einen Blick auf Edgar Allen Poes Geschichte wirft, wird schmunzeln. Thompson hat den Klassiker mit Fingerspitzengefühl einfließen lassen. Aber „Fern vom Licht des Himmels“ ist kein Remake. Thompsons neuer Roman ist ein fesselndes, überraschendes und unterhaltsames Original. Bei aller Euphorie um eloquente Maschinen wie ChatGPT: Bis uns Künstliche Intelligenz Romane wie diesen beschert, wird noch viel Licht die Milchstraße herunterfließen.

(Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.)

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Marten Hahn