SWR2 Buch der Woche vom 6.1.2019

Aus dem Französischen von Stephan Kleiner

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Aus dem Französischen von Stephan Kleiner

Am 7. Januar erscheint in Deutschland Michel Houellebecqs neuer Roman "Serotonin". Der Fernsehsender France Inter nennt ihn "raffiniert deprimiert". Seinen besten Roman habe Houellebecq hier geschrieben, meint der Figaro. Der katholische Le Point spricht von einem Roman wie eine Flutwelle.

SWR2 Literaturkritikerin Brigitte Neumann kommt zu einem etwas anderen Ergebnis.

Michel Houellebecq ist am Neujahrstag von Staatspräsident Emmanuel Macron zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen worden. Für seine Romane, "Elemantarteilchen" über Gen-Technologie, "Unterwerfung", über den Untergang Frankreichs und "Karte und Gebiet" über den Untergang eines Autors, erhielt Houellebecq viele Literaturpreise, darunter auch Frankreichs wichtigsten, den Prix Goncourt.

Der Erzähler ist schwer depressiv, notgeil und außergewöhnlich hellsichtig

Schon in Houellebecqs erstem Roman "Ausweitung der Kampfzone" von 1994 , war die Hauptfigur ein Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums, allerdings ein Informatiker, kein Berichterstatter an die EU-Verwaltung wie in dem neuen Buch "Serotonin". Wie damals ist der Erzähler schwer depressiv, dabei auch notgeil und außergewöhnlich hellsichtig, was die Gründe für seine Misere angeht, die er, und das ist ihm bewusst, mit vielen seiner Landsleute teilt.

Auf den ersten Seiten des Romans Serotonin sitzt der 46-jährige Held Florent-Claude Labrouste einsam in seiner Ferienimmobilie an der spanischen Küste und überlegt, wie er an die hübschen jungen Mädchen da draußen herankommen könnte. Er fühlt sich alt, hässlich, gehemmt. Und wirft, als wolle er irgendeine Kontrolle wiedererlangen, eine Analyse hin, die wohl vieles erklären soll:

Der Erzähler gibt Job und Wohnung auf

"Serotonin", der siebte Roman von Michel Houellebecq, benannt nach einem Glückshormon, spielt in der Gegenwart, wo der Erzähler Florent-Claude seine aktuelle Freundin, die elegante Japanerin Yuzu, loswerden will. Denn sie treibt es mit anderen, nicht mehr mit ihm. 

Der Held ist keiner zum Liebhaben, über weite Strecken ist er ein arroganter, feiger, marktkonform denkender Mann. Das ändert sich ein wenig, als er Job und Wohnung aufgibt und ins französische Hinterland fährt. Dort besucht er einen Freund, ebenfalls Agraringenieur, der Öko-Landwirt geworden ist. Seine Kühe geben die Milch für berühmte französische Käsesorten. Aber er steht kurz vor der Pleite und fragt Florent-Claude um Rat. Der fasst zusammen:

Houellebecq hat den Aufstand der Gelbwesten fast vorweggenommen

Als die Genossenschaften das nächste Mal den Preis für einen Liter Milch senken, gehen die Bauern auf die Straße. Sie blockieren die Kreuzungen nach Paris. Der Aufstand der Gelbwesten lässt grüßen.

Wie andere Schriftsteller, etwa Annie Ernaux und Edouard Louis, hegt Houellebecq Sympathien für den Protest der Gelbwesten. Das könnte auch sein Lob Trumps kürzlich erklären, der ja protektionistische Maßnahmen in großem Stil ergreift.

"Serotonin" ist aber nicht der Roman zum Aufstand der Abgehängten in der Provinz. Dafür ist ihre Rolle zu bescheiden. "Mein Thema, das bin ich selbst", sagt der Held. Und so ist es auch.

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