Buch der Woche

Botho Strauß - zu oft umsonst gelächelt

Stand
AUTOR/IN
Wolfgang Schneider

Ein Band voller Miniaturen! Geschichten von aphoristischer Dichte! Das ist das neue Buch von Botho Strauß.

„zu oft umsonst gelächelt“ heißt es gewitzt, und so sind auch die darin enthaltenen Kurzgeschichten und Szenen. Worum es geht? Um den Menschen in der Welt, seine Schrägheiten und seine Liebesversuche.

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Einst schrieb Strauß Theaterstücke, mittlerweile widmet er sich der Prosa

Der Schriftsteller Botho Strauß wird im Dezember fünfundsiebzig. Seine Produktivität ist nach wie vor ungebrochen. Theaterstücke, mit denen er seinen Ruhm in den siebziger und achtziger Jahren begründete, schreibt er schon länger nicht mehr.

Dafür erscheinen regelmäßig sowohl im angestammten Hanser-Verlag wie neuerdings auch bei Rowohlt Prosawerke, die mal autobiographische Hintergründe erschließen wie die Erzählung „Herkunft“, mal ins Esoterisch-Philosophische entrückt sind wie „Vom Aufenthalt“, mal mit der Gegenwart kulturkritisch abrechnen wie „Der Fortführer“, mitunter aber auch einfach Sammlungen wunderlich-schräger Kurzgeschichten und Skizzen bieten wie „Oniritti Höhlenbilder“.

Es geht vor allem ums Zwischenmenschliche

Die letzte Prosa-Sammlung von Botho Strauß trug den etwas angestrengten Titel "Der Fortführer". Darin pflegte Strauß den hohen Ton des konservativen Intellektuellen, der seine Position in einer vermeintlich verworfenen Epoche bestimmt.

Nun dürfen wir aufatmen. Das neue Buch des Autors kommt deutlich entspannte daher. Schon mit seinem gewitzten Titel "zu oft umsonst gelächelt" kehrt es zurück in den Bereich des Zwischenmenschlichen.

Details, die bei anderen Autoren untergehen, greift Strauß auf

Es ist eine Sammlung von Skizzen, Szenen, Betrachtungen und Kurzgeschichten, die sich einem großen, bewährten Strauß-Thema widmen: der Liebe und der Leidenschaft als herausgehobenen Zuständen, bei denen nicht nur der Unterleib besser durchblutet wird, sondern auch in Geist und Bewusstsein Flammen entzündet werden. Um solche Wechselwirkungen geht es.

Das „Unhandgreifliche“ der Liebe interessiert diesen Erzähler, jene subtilen Details, die in vielen Romanen oder Filmen durchs Raster fallen.

Subtilitätendämmerung. In Zukunft schreibt man über ungeschlachte Menschen, dickfellige Liebe und stellt bullige Fragen.

Ein Romancier ist Leitfigur des Bandes

So lässt sich etwas rumpelnd der "alternde Romancier" vernehmen, die in ein mildes ironisches Licht gestellte Leitfigur des Bandes, sein Conférencier gewissermaßen, der sich regelmäßig mit seinen programmatischen Überlegungen einschaltet.

"Was bleibt mir von der Welt als nur die Episode", seufzt er. Und bekennt, er sei „immerzu auf den Spuren ausgestorbener Liebesarten“.

Davon wird hier erzählt – Beglückendes, Katastrophisches, Skurriles. Das Umstürzlerische der Gefühle, das gebrochene, an den Rändern angefressene Pathos ist dabei kennzeichnend.

Leidenschaft braucht nach Strauß immer auch Lüge

Es geht um Paare im ersten Glücksbann oder in der Auflösung, um Veteranen vergangener Liebesschlachten, um Verstoßene und Getäuschte.

Leidenschaft braucht ein Quantum an Verschlagenheit und Lüge, anders als es die etablierte Kultur des regulierten Geschlechter-Umgangs wahrhaben möchte.

Botho Strauß übt den Widerstand – gegen die Verschrumpfung der Liebe durch zu viel Verständigungsjargon und Allerweltspsychologie. Schon ein Wort wie "Partner" stößt ihm übel auf.

Mann und Frau sind niemals Partner. Eine Frau ist Verehrte oder Begehrte, Dulderin oder Unduldsame, Lügnerin oder treue Seele, im besten Fall Kombattantin im gleichen Vorwärts und Entgegen, gleichwertig, gleichberechtigt… - nur niemals ein Partner. Ordinäre Anleihe aus dem Geschäftsleben. Man unterschätze nicht die Magie der Banalität, die mit solcher Bezeichnung in jede Liebe einzieht und sie aushöhlt.

Der Band ist reich an einprägsamen Figuren, Rollen und Affektskultpuren

Solche Reflexionen verbinden sich mit einem Reigen einprägsamer Figuren, Rollen und Affektskulpturen: die "Miesmacherin", die ihren Mann ständig abkanzelt, die indiskrete Briefschreiberin, der Verpfuscher der ersten Liebesnacht, der Mann mit dem Sandkuchengeruch und der Alte im Safarihemd, der nach dem Tod seiner Frau noch einmal alle Reisen wiederholt, die er je mit ihr unternahm.

Auch märchenhafte Elemente finden ihren Platz

Nicht zu vergessen das Paar, das sich auf der blockierten Rolltreppe kennenlernt, und der erfolgreiche Unternehmer, der sein Leben mit einem weiblichen Quartett eingerichtet hat: seiner Ehefrau, seiner Geliebten, seiner "Fernstenliebe" und der "hilfreichen Närrin".

Als er diese aber eines Nachts, vom eigenen Begehren selbst überrascht, zur Geliebten macht, ist es vorbei mit seinem Geschäftsglück.

Gelegentlich gehen die Geschichten von Botho Strauß ins Märchenhafte, Traumhafte oder Phantasmagorische über.

Die Gefühlswahrheiten sind ehrlich

Ihre Gefühlswahrheiten sind jedoch ganz von dieser Welt, wie in jenem Prosastück, in dem eine Frau abends allein beim Abschminken in ihrem Schlafzimmer sitzt.

Im Spiegel sieht sie, wie sich hinter ihr das Laken ihres aufgeschlagenen Bettes plötzlich zu spannen beginnt. Eine Gestalt zeichnet sich ab, dann reißt der Stoff:

Sie betrachtet – und wagt nicht sich umzudrehen: in ihrem Spiegel die Geburt des Mannes aus der Matratze.

Sehr surreal, aber ein starkes Bild für die Sehnsucht.

Strauß ist immer auf der Suche nach ungewohnten Ausdrücken

Botho Strauß schreibt keinen Nummer-Sicher-Stil; er ist immer auf der Suche nach ungewohnten, erhellenden Ausdrücken und Bildern. Das birgt das Risiko des Missglückens. Aber ohne Wagnis kein Gewinn.

Viele Formulierungen sind treffsicher und hintergründig. Mit nur zwei elliptischen Sätzen schafft es der Erzähler, eine Enttäuschte vor uns hinzustellen, eine Frau, die den Richtigen nie gefunden hat:

Tanja, alle Männer hinter sich. Ein letzter Blick zurück auf der Liebe hoffnungslose Siedlungen.

Das ist komprimiert wie Lyrik. Wortmagie spielt auch in den Erzählungen selbst eine Rolle.

Ein Wort genügt, um die Handlung einer Szene in Gang zu setzen

In einer entwickelt sich die Liebe zwischen einer Journalistin und ihrem polnischen Computertechniker aus einem einzigen Wort, das die Ehefrau des Mannes, vielleicht ohne es richtig verstanden zu haben, fallen lässt: "Nebenbuhlerin".

Es stimuliert die erotische Phantasie der Journalistin so heftig, dass sie die bisher bloß unterstellte Affäre nun in die Tat umsetzt.

Freundschaft und Gemeinschaft sind weitere Themenkomplexe

Doch nicht nur um Liebe geht es, sondern auch um Freundschaft und Gemeinschaft, kaum weniger heikle Gebiete.

Die längste Geschichte, immerhin zehn Seiten, erzählt skurril von elf Kino-Enthusiasten, die gerade zusammen den Film ihres Lebens gesehen haben und die nun um Worte für ihr Erlebnis ringen.

Eine andere Parabel berichtet von einem kleinen Männerchor, der eines Tages mitten im Gesang völlig aus der Spur der Melodie gerät:

Ein inniges Solo wechselt in der Sekunde zum ordinären Fluch, Harmonien zerschellen wie hingeworfene Porzellanfiguren. Es explodiert ein gehässiger Streit unter den Sängern. Jeder bezichtigt den anderen, singend nichts als seinen schlechten Charakter in die Töne zu verlagern. Sie schelten und drohen, und schließlich psychologisieren sie, dass es seine Art hat. Irgendwann ermüden sie in ihrem Gezänk, vergeben einander, und versuchen mit vorsichtigen Intonationen zum achtstimmigen Gesang zurückzukehren. Aber wie sie’s auch üben und immer von vorne beginnen, sie finden nicht zum alten Einklang zurück.

Sie haben zuviel psychologisiert – und den erhöhten Zustand der Gemeinschaft dadurch verloren. Zuviel Bewusstsein, und die Anmut ist dahin; Kleist lässt grüßen.

Strauß verfügt über eine erstklassige psychologische Beobachtungsgabe

Eine gewisse Paradoxie besteht darin, dass Botho Strauß selbst ein erstrangiger psychologischer Beobachter und Bewusstmacher ist, der mit seinem literarischen Sensorium feinste Verästelungen und Transformationen der Gefühle erkundet.

An einer Stelle ist ihm allerdings ein merkwürdiger Fehler unterlaufen. "Manchmal in Tierfilmen sieht man in der Wüste Zebras, Gnus von Tigerrudeln gejagt", beginnt ein Abschnitt. Hier hat Strauß nicht genau hingesehen, denn Tiger leben nicht in der Wüste und jagen nicht im Rudel.

Kann es sein, dass er Tiger mit Löwen verwechselt hat? Nicht auszudenken. Besser kennt er sich aus in den mythischen Kontexten, die gelegentlich aufgespannt werden: Parzival, Orpheus, die Odyssee.

Prägnante Kürze ist das Erkennungsmerkmal von Strauß' Stil

Kleine, fragmentarische Formen des Erzählens gelten den Verlagen mittlerweile fast schon als geschäftsschädigend. Botho Strauß aber bleibt ihnen mit aller Entschiedenheit treu.

Dass er keine Romane schreibt, hat auch damit zu tun, dass er mit jedem Satz aufs Ganze geht. In prägnanter Kürze versucht er, einer Erscheinung beizukommen, eine Physiognomie zu durchdringen, eine Handlung oder Gebärde durchsichtig zu machen.

Ein Werk, dass den Leser in Empfindungsfähigkeit schult

Ein Romancier dagegen schreibt immer in Hinblick auf den nächsten Winkelzug des Plots. Botho Strauß mag sie nicht, diese, wie er einmal gesagt hat, "geschickt geschriebenen Romane voller schlecht gesehener Menschen".

Sein neues Prosabuch blickt mit scharf gestelltem Facettenauge auf die Menschen und ihre ewige Liebesunruhe. Wer es liest, schult seine Empfindungsfähigkeit.

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Wolfgang Schneider