Die Schriftstellerin Susanne Fritz

Das Kriegstrauma der Mutter wirkt im Kind weiter

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AUTOR/IN
Astrid Tauch

„Wie kommt der Krieg ins Kind“ ist kein Roman – und dennoch für den Deutschen Buchpreis nominiert

Die diesjährige Longlist für den deutschen Buchpreis wartet mit einer Überraschung auf: neben bekannten Namen wie Arno Geiger oder Adolf Muschg befindet sich dieses Mal auch eine Freiburger Autorin unter den Nominierten – Susanne Fritz. Ihr Buch „Wie kommt der Krieg ins Kind“ wurde von einer Jury zusammen mit 19 weiteren für den Buchpreis vorgeschlagen. Der zeichnet am 8. Oktober den besten deutschsprachigen Roman aus.

Dabei ist das Buch von Susanne Fritz gar kein Roman. In ihrem Buch schildert die Autorin das Schicksal ihrer Mutter, die 1945 mit 14 Jahren in ein polnisches Arbeitslager kam. Und sie verknüpft die zum Teil in Polen nachrecherchierten Fakten mit der Frage, wie der Krieg noch über Generationen hinweg als Trauma weiterlebt.

Glatze, Arbeitslager – diese Worte sind Susanne Fritz sehr vertraut. Sie gehören quasi zu ihrem Grundwortschatz, denn die Geschichte ihrer Mutter war in der Familie immer sehr präsent: als 14jährige wurde sie bei Kriegsende auf der Flucht vor der Roten Armee aufgegriffen, von der eigenen Mutter getrennt und in das polnische Internierungslager Potulice verschleppt. Die Haare werden geschoren, drei Jahre muss das junge Mädchen in der Landwirtschaft bis zur Erschöpfung schuften. Über ihre Gefangenschaft habe sie später daheim viele Anekdoten erzählt, erinnert sich Susanne Fritz. Trotzdem gab es da immer wieder diese Leerstellen, blieb vieles ungesagt.

So habe es in den Erzählungen ihrer Mutter immer wieder Momente gegeben, in denen sie plötzlich aus unerfindlichem Grund abbrach, oder eine Jahreszahl nannte, der dann aber nichts folgte. Dann habe die unausgesprochene Bitte im Raum gestanden, nicht nachzufragen.

In solchen Momenten kam der Krieg auch bei Susanne Fritz an, das Trauma, das die Mutter an die Tochter weitergab.

Die jugendliche Tochter spiegelt das Kriegstrauma der Mutter

Als sie in die Pubertät kam, habe sich ihre Mutter sehr verändert, erzählt Susanne Fritz. Das sei das Alter gewesen, 14, in dem sie gefangen genommen wurde. Aus Liebe wurde Ablehnung. Die Mutter distanzierte sich von der pubertierenden Tochter, vielleicht, weil sie durch sie zu sehr an die eigene Geschichte erinnert wurde.

Die erwachsene Susanne Fritz beginnt zu recherchieren. In einem polnischen Archiv entdeckt sie die Gefangenenakte ihrer Mutter, in der sie auf einen Fingerabdruck stößt - den Fingerabdruck einer 14jährigen. Diese Erschütterung wird zum entscheidenden Anstoß, ein Buch zu schreiben:  über die Geschichte ihrer Vorfahren, die als deutsche Minderheit unter den Nazis Privilegien genießt und nach dem Krieg vertrieben wird, die alles verlieren.

Ein literarisches Familienschicksal

Susanne Fritz schreibt ganz bewusst keinen Roman, sie will mit ihren Recherchen der Wahrheit möglichst nahe kommen, den vertriebenen Deutschen eine Stimme geben, ohne zu polarisieren, ohne Schuldzuweisungen. Aber immer ist sie präsent als autobiografische Erzählerin, die das Schicksal ihrer Familie literarisch verarbeitet. Und die die persönlichen familiären Erfahrungen über drei Generationen und zwei Weltkriege mit der schwierigen Geschichte deutsch-polnischer Beziehungen verschränkt.

Das Buch weckt Verständnis für das Nachbarland, das in den großen Kriegen zwischen den Interessen der Großmächte zerrieben wurde, ständig seine Grenzen verändern musste. Das vielleicht größte Verdienst von Susanne Fritz ist aber, dass sie beschreibt, wie traumatische Erfahrungen von Krieg, Flucht und Leid über Generationen hinweg fortwirken können, wie „der Krieg ins Kind kommt“. Das ging nicht, ohne ein Tabu zu brechen: ihre Mutter lehnte die Veröffentlichung der Familiengeschichte ab, und auch nach ihrem Tod bestimmt dieses Verbot den Schreibprozess: jedes einzelne Wort wird auf die Goldwaage gelegt.

„Ich glaube, diese Geschichte ist reif, erzählt zu werden“, sagt Susanne Fritz, „Ich kenne auch andere Leidensgenossen meiner Mutter aus diesen Lagern vor und nach 45, ich hab auch eine Aufgabe darin gesehen, diese Geschichte zu übernehmen.“

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Astrid Tauch