Kommentar

Suhrkamp goes Merchandising – Die stw-Kappe und andere non-book-Knaller!

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AUTOR/IN
Arnd Pollmann

Zum 50. Geburtstag der Reihe „suhrkamp taschenbuch wissenschaft“ (stw) steigt der Suhrkamp Verlag ins Non-Book-Geschäft ein und bietet unter anderem ein Käppi im legendären stw- dunkelblau und ein 1000-teiliges Puzzle an. Was würde stw-Autor Adorno dazu sagen? Gibt es ein richtiges Lesen im Falschen?

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Umschlaggestaltung: Willy Fleckhaus. Volltonfarbe 41C2508G2. Das sind die ästhetisch untrüglichen Wiedererkennungsmerkmale einer wissenschaftlichen Buchreihe, die im kommenden Mai ihren 50. Geburtstag feiert. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Oder kurz: stw. Ob mit Titelei in Gelb, Orange, Pink oder Lila: Die seit 1973 konstant tiefblauen Theoriebände sind die Leitmedien ganzer Generationen von Studierenden und Lehrenden gewesen. Inzwischen sind es mehr als 2300 Bände. Viele davon ebenso schwer zu verstehen wie der geradezu kultartige Mythos, der sich um die Reihe rankt.

Gleich mit Band 1 wurde seinerzeit ein Bestseller platziert, vor allem aber ein programmatisches Ausrufezeichen gesetzt. „Erkenntnis und Interesse“ hieß das das Werk, und Jürgen Habermas vertrat darin die These, dass, wer an wissenschaftliche Wahrheit im Dienste der Befreiung glaube, mit dem Geschäft radikaler Gesellschaftskritik beginnen müsse. Warum? Weil die Verwertungslogik des Kapitals nicht zuletzt eben auch die Interessen jener Wahrheitsproduktion bestimme. Wissenschaften seien alles andere als interessenlos oder „wertfrei“.

Seither hat alles, was gesellschaftskritisch Rang und Namen hat, bei stw publiziert – oder doch zumindest publizieren wollen. Damit allerdings hat sich der Verlag von Beginn an in eine gewisse intellektuelle Verlegenheit gebracht: Wie hält man eine derart akademische Buchreihe dauerhaft auf dem umkämpften Markt, deren Autor:innen unentwegt zum wissenschaftlich fundierten Kampf gegen die ach so freie Marktlogik aufrufen?

Spötter wird es daher nicht verwundern, dass der Verlag – pünktlich zum runden Geburtstag der Reihe – nun auch in das Segment des sogenannten Non-Book vordringt und Fan-Artikel produziert: Basecap und Stoffbeutel in der erwähnten Volltonfarbe sowie ein 1000teiliges Puzzle.

Ich gebe zu, ich – als stw-Fanboy – habe das alles schon vorbestellt. Doch was hat Suhrkamp als Nächstes vor? Bertolt-Brecht-Brillen, Ernst-Bloch-Haarteile, Coffee-Cups für den Ingeborg-Bachmann-Preis, die Schlaghose „Thomas Bernhard“ oder das Kuscheltier „Steppenwolf“? Der 1973 von dem Suhrkamp-Autor und Literaturwissenschaftler George Steiner geprägte Begriff der „Suhrkamp-Kultur“ bekäme so eine ganz neue Bedeutung!

Was aber hätte der Autor von Band 2 der stw-Reihe, der pessimistische Kulturkritiker Theodor W. Adorno, zu dieser Marktoffensive gesagt?

Er hätte vermutlich geschmunzelt und die verspielte Ironie sofort erkannt, denn die gewitzte Persiflage macht dialektisch Sinn. Um den stw-Duktus von Adorno hier einmal zu simulieren: Im vermeintlich „hässlichen“ Akt der Unterwerfung eines schönen Designs unter die Gesetze der Kulturindustrie, schlägt das Hässliche in ein neues Schönes, ja, in Kunst um.

Die Aura der Zweckfreiheit intellektueller Weltbetrachtung wird ironisch als Kopfbedeckung verzweckt, um fortan vor zu viel gleißendem Licht außerhalb der platonischen Höhle zu schützen. Aus dem zuvor bloß „verkappten“ intellektuellen Geist wird ein Intellektueller mit Kappe. Und mit dem passenden Einkaufsbeutel wird das kapitalismuskritische Marken-Branding in einem subversiven Akt direkt in den glitzernden Konsumtempel hineingetragen.

Auch auf Partys, im Hörsaal oder auf Demos führen solche Adorno-Sätze, gepaart mit dem tiefblauen stw-Outfit, ganz sicher zum Erfolg. Und schön wäre es, wenn auch die Kleinen bald schon nicht mehr mit diesem hässlichen Disney-Merch und in Anna- und Elsa-Tüll zur Kita gingen, sondern mit Suhrkamp-Hoodie und stw-Brotbox.

Eines der meistverkauften Bücher der stw-Reihe stammt übrigens von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Es ist sehr dick geraten, trägt den Titel „Die feinen Unterschiede“ und handelt vom sogenannten Habitus; von der Frage also, wie der moderne Mensch aus einem hinreichend „distinguierten“ Lebensstil und Auftreten, möglichst viel soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital schlagen kann.

Mit der Suhrkamp-Basecap können sich nun alle Vor- und Nachdenker:innen einen kleinen intellektuellen Distinktionsgewinn kaufen: Stets ist unter dieser Kappe ein Kopf zu vermuten, der noch immer an das richtige Lesen im Falschen glaubt.

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Arnd Pollmann