Dating in der Pandemie

Liebe in unverbindlichen Zeiten: Mutiges Comic-Debüt „Oh cupid“

STAND
AUTOR/IN
Silke Arning

Während der Pandemie hat Autorin Helena Baumeister neue Bekanntschaften über eine Dating-App geknüpft. Ihre Erfahrungen, befremdliche, schöne, auch schamhafte Momente hat sie in einem Tagebuch skizziert, das nun als Comic im Avant-Verlag erschienen ist.

Audio herunterladen (3,6 MB | MP3)

Das Glück beginnt mit einem Paar hellbrauner Augen

Nach drei eher belanglosen Verabredungen scheint Helena einen echten Treffer gelandet zu haben. Date Nummer Vier gibt sich sehr relaxed und geradeheraus. Eine kleine Fahrradtour hilft beim ersten Beschnuppern, bevor die Beiden auf einer Parkbank eine kleine Pause einlegen. Und – wow – der Typ hat mitgedacht, hat was fürs Picknick mitgebracht. Das gibt Pluspunkte.

Gleich nach dem ersten Treffen hat Autorin Helena Baumeister ihren Bleistift ausgepackt und ihre Gefühle aufs Blatt gebannt:

„Ich habe dem so viel Aufmerksamkeit geschenkt diesem vierten Treffen, weil ich da zum ersten Mal wirklich das an mich herangelassen hab und es auf einmal ganz abstrus fand, dass man sich jetzt wieder so aus den Augen verlieren soll. Und dadurch, dass man sich durch die App kennengelernt hat und dass dann die anfänglichen Umstände denkbar unromantisch sind und das alles irgendwie so ein bisschen bagatellisiert diese ganze Begegnung.“

"oh cupid" von Helena Baumeister (Foto: Pressestelle, Avant Verlag)
Blick ins Buch Pressestelle Avant Verlag

Das Glück an der Zweisamkeit

Die lockere, aber irgendwie doch schwer erträgliche Unverbindlichkeit des Sich-Kennenlernens über eine App gipfelt in diesem Comic in der Aussage: „Es geht nicht darum, sich zu verlieben“.

Nach Helenas Geschichte klingt dieser Satz allerdings fast eher wie eine verunglückte Schutzbehauptung. Denn eigentlich ist alles da, was Frau oder Mann so brauchen, um Schmetterlinge im Bauch zu fühlen. Die Neugier auf den Anderen, das langsame Sich-Herantasten, das Sich-Aufeinander-Einlassen – all das scheint im Zeitalter von Dating-Apps außer Kraft gesetzt zu sein, weil das erste bereits das letzte Treffen sein könnte. 

Helena Baumeister erzählt in abstrakt-groben Skizzen

„Oh cupid“ – der Titel des Comics verweist auf eine sehr ähnlich lautende Dating-App – erzählt eine herbe Portion Lebenserfahrung: mutig, offen, mit Herzblut und ganz viel Witz. Helena Baumeisters Zeichnungen sind scheinbar grobe, wild hingeworfene Schwarz-Weiß-Skizzen, die voller herrlicher Einfälle strotzen.

Er fährt bei der kleinen gemeinsamen Ausfahrt mit dem Rad voran, sie keuchend hinterher, immer bemüht dranzubleiben: keine Schwäche zeigen, kundenfreundliches Lächeln aufsetzen, sollte er sich doch mal unerwartet umdrehen. Dann mutiert sie plötzlich zum Fahrrad fahrenden Huhn, die den Kerl neben sich mit belanglosem Zeug vollgackert.

Körperteile nehmen auf einmal riesige Dimensionen ein: Arme riesig lang, die umarmen wollen, aber nicht dürfen. Wir sind ja noch mitten in der Pandemie. „Ich glaube, ich achte immer auf das, was wichtig ist“, erklärt Helena Baumeister ihren Stil, „und wenn lange Gesichter wichtig sind, dann sind die Gesichter halt lang. Ich skizziere halt nie Zeichnungen vor, sondern das sind eher so spontane Einfälle, die sich richtig anfühlen, um ein Gefühl auszudrücken.“

"oh cupid" von Helena Baumeister (Foto: Pressestelle, Avant Verlag)
Blick ins Buch Pressestelle Avant Verlag

Die Leere einer unbeantworteten Chat-Nachricht

Viele schöne, aber auch unschöne Dinge passieren in diesem Comic. Die Leere zum Beispiel, wenn nach Intimität und Nähe der Chat auf einmal unbeantwortet bleibt und zwei Häkchen anzeigen, dass er die Nachricht durchaus gelesen hat. Zwei Häkchen, die in der Zeichnung zu tonnenschweren Lasten werden, die sie nun durch den trüben Herbst hinter sich herschleppt.

Helena Baumeister erzählt ihre Geschichte immer wieder auch aus der Vogelperspektive. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn zwei neugierige Amseln verfolgen das Paar bei ihrem Date und geben immer wieder sehr gern ihren Kommentar zum Lauf der Dinge.

Gespräch Comicautor Ralf König über sein Buch „Abba Hallo!“: „Mein Ersatz für die Psychotherapie“

Täglich einen Comicstrip – So hat der Zeichner und Autor Ralf König seine Fans auf Social Media über Monate unterhalten. Seine beiden liebsten Figuren – das schwule Paar Konrad und Paul – hat er so gemeinsam älter werden lassen. Zum ersten Mal erleben sie eine Beziehungskrise. König verarbeite damit auch seine eigenen Altern, erzählt er im SWR2 Gespräch.

SWR2 am Morgen SWR2

Europas größter Comic-Salon wird 50 Festival d’Angoulême: Internationale Comic-Highlights an einem Ort

Internationalen Trends und künstlerisch beachtliche Entdeckungen auf einem Fleck: Zehntausende Besucher*innen aus aller Welt werden erwartet, wenn am 26. Januar in der westfranzösischen Stadt Angoulême das Internationale Comic-Festival zum 50. Mal seine Pforten öffnet. Die wichtigsten Neuerscheinungen im Überblick.

Comic Nacht in Berlin – Corto Maltese und die fatalen 20er-Jahre

Fatale historische Realität trifft surreales Märchen: Mit ihrer grafischen 20er-Jahre-Revue um den Glücksritter Corto Maltese knüpfen die Autoren Juan Díaz Canales und Rubén Pellejero an das Werk von Schöpfer Hugo Pratt an. Im neuen Band „Nacht in Berlin“ trifft der Comic-Held auf Joseph Roth, Marlene Dietrich und Max Schmeling.

SWR2 Kultur aktuell SWR2

STAND
AUTOR/IN
Silke Arning