Literatur

Neuer Band von Ali Hazelwood: Der seltsame Erfolg der Schmonzetten-Autorin auf TikTok

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AUTOR/IN
Tobias Stosiek

Auf TikTok erreicht sie mit ihren Büchern ein Millionenpublikum: Ali Hazelwood ist die Romance-Queen schlechthin. Das Feuilleton ignoriert sie trotzdem. Zu Unrecht! Auch wenn die Lovestorys feministisch daherkommen – die Geschlechterbilder sind gruselig.

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Männer, seziert vom female gaze

„Die Tür geht auf und ich stehe vor … einer Brust. Einer breiten, wohldefinierten Brust unter einem Hemd. Und einem dunklen Jackett.“

Die Männerbrust, vermeintlich ewiges Motiv weiblichen Begehrens – bei Ali Hazelwood ist sie überall, gewissermaßen romanfüllend, so dass man mitunter vor lauter Brust den Mann nicht mehr sieht. Wenn man hier eines lernt, dann: Männer sind wie Bausätze, die Summe ihrer Teile. Seziert vom female gaze. Breite Brust, kantiges Kinn und, ganz wichtig, Größe.

185 Millionen Abrufe auf TikTok

Der Bautyp der Männer in Hazelwoods Büchern ist stets derselbe, das Schema identisch. Müßig sich darüber zu beschweren. Wir haben es hier schließlich mit Genreliteratur zu tun. Romcom – Romantic Comedy in diesem Fall. Prinzip: Boy meets Girl, bisschen Trouble, bisschen Sex, Antrag und Ende. Keine Literatur, über die man viel liest, allerdings eine, die wahnsinnig viel gelesen wird.

Vor allem auf TikTok sind die Bücher von Ali Hazelwood ein Riesending. 185 Millionen Aufrufe zeigt die Videoplattform an, wenn man ihren Namen sucht. Genau umgekehrt verhält es sich dagegen, wenn man das Feuilleton durchforstet. Null Treffer. Eisiges Schweigen. Zurecht?

Für Serien gelten andere Maßstäbe als für Literatur

„Also, ich denke, es ist immer ein bisschen die Frage, was will Literaturkritik mit dem, was sie tut erreichen. Und dann muss sie die Entscheidung fällen. Und die Entscheidung fällt ganz offenbar selten zugunsten dieser Art von Genreliteratur aus“, beobachtet der Literaturwissenschaftler Simon Sahner.

Und auch, dass es zum Beispiel bei Filmen oder Serien ganz anders läuft. Dort wird fleißig rezensiert, auch wenn es um Trash geht. Der hundertste Marvel-Film wird natürlich besprochen, die tausendste Star Wars-Serie auch. Nur bei Büchern werden die Finger spitz.

Auf TikTok wird gebinged

Sahner dazu: „Ich glaube, dass das damit zusammenhängt, dass Literatur eigentlich schon seit Jahrzehnten immer den Anspruch hat, sie müsse uns etwas Sinnvolles liefern. [...] Lesen soll immer mit einer gewissen Anstrengung verbunden sein, was bei Serien zum Beispiel nicht der Anspruch ist. Und ich glaube das ist so tief eingegraben, dass das immer noch wirkt.“    

Allerdings nicht bei den Fans von Ali Hazelwood. Was ja auch etwas Emanzipatorisches hat. Auf TikTok oder YouTube liest man Bücher, wie man sonst nur Serien guckt. Es wird gebinged, was das Zeug hält. 300 Seiten an einem Nachmittag, 500 Seiten über Nacht. Im Wieviel zeigt sich das Wiegut.

Ein interessantes Phänomen

Hier mit ästhetischen Kriterien dazwischen zu grätschen, wäre quatsch, wohlfeil. Die Lovestorys von Ali Hazelwood wollen verschlungen werden, sind Konsumliteratur. Ohne Kunstanspruch. Soweit – so okay.

Gerade weil sie so viele lesen, bleiben sie aber als Phänomen interessant. Ein Beispiel: Die Protagonistinnen kommen bei Hazelwood immer aus dem MINT-Bereich, sind Ingenieurinnen oder Wissenschaftlerinnen. „Feministische Storys“ kündigt der Buchrücken auch an.

Sobald Gefühle dazukommen, sind allerdings wieder die konservativsten Klischees am Start. Er unnahbar, unverfügbar – sie verwirrt, verliebt, verunsichert. So muss wohl Liebe laufen.

Netzkultur #leselust, #bücherliebe, #bookstagram – Literatur auf Instagram

Ein Buch in der Hängematte, ein Schmöker auf der Kuscheldecke, ein Bücherstapel mit Klassikern: in der Bilderflut auf Instagram tauchen immer häufiger Fotos von Büchern auf, versehen mit Hashtags wie „leselust“ oder „bücherliebe“. Instagram ist bekanntlich die Plattform für Selfies, Lifestyletipps und Trendsetting – wie geht das mit Literatur zusammen? Eine kleine Reise durch die Bücherwelt bei Insta.

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