Autorin Monika Maron und das Cover ihres Romanes: Artur Lanz (Foto: SWR, Monika Maron (2017) Foto: Jonas Maron / S. Fischer Verlage)

Buch der Woche

Monika Maron - Artur Lanz

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AUTOR/IN
Julia Schröder

Artur Lanz hat eine Lebenskrise. Er ist Anfang fünfzig und sehnt sich nach Heldentum. Die Schriftstellerin Charlotte Winter ist bald achtzig und wittert in seiner Geschichte Erzählstoff.

Warum sind Helden so aus der Mode gekommen? Über diese und andere gesellschaftlichen Fragen - Geschlechterrollen, Klimawandel, Einwanderung – debattiert Charlotte auch mit ihren Freund*innen.

Ein Buch voller streitbar vorgetragener Thesen – und nicht der stärkste Roman von Monika Maron.

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Monika Maron trat mit kontroversen Thesen in den Vordergrund

Fast fünf Jahrzehnte lang hat die 1941 geborene Schriftstellerin Monika Maron in der DDR am eigenen Leib erlebt, was Denkverbote wirklich sind.

Heute sieht sie vergleichbare Tendenzen im sogenannten Mainstream-Diskurs der Bundesrepublik, was ihr das Etikett „rechts“ oder zumindest „problematisch“ eingetragen hat. Was darf wer heute sagen, und was nicht?

Auf die Frage scheint auch ihr neuer Roman „Artur Lanz“ herauszulaufen.

Der Heldenbegriff wird im Roman zum zentralen Fokuspunkt

Dabei steht zunächst einmal ein ganz anderes Thema im Mittelpunkt.

Was ist aus dem Wort Held geworden, wenn man einen Pizzaservice ‚Lieferheld‘ nennt?

Ziemlich genau in der Mitte von Monika Marons neuem Roman wird diese Frage gestellt, und sie ist mehr als ein bloßes Bonmot. Für Marons Ich-Erzählerin Charlotte Winter wird der Heldenbegriff in postheroischen Zeiten zu einem Thema, das sie eine ganze Weile nicht mehr loslässt.

Es gibt Gemeinsamkeiten von Autorin und Erzählerin

Charlotte ist eine allein lebende Frau Ende siebzig mit schriftstellerischer Ambition und hat mit ihrer Erfinderin nicht nur das fortgeschrittene Alter und eine unerschütterliche Freude am Rauchen gemeinsam, sondern auch die DDR-Biografie und womöglich die eine oder andere Meinung über die gegenwärtigen Verhältnisse.

Wobei man da bei literarischen Figuren – und dazu zählen nun einmal auch Ich-Erzählerinnen – ja gar nicht vorsichtig genug sein kann, schließlich handelt es sich bei Charlotte Winter eher um eine Taschenausgabe als um ein Double der Autorin.

Artur ist benannt nach dem berühmten Ritter der Tafelrunde

Alles beginnt damit, dass Charlotte einem leise melancholischen Mann Anfang fünfzig begegnet. Das ist Artur Lanz, die Titelfigur des Romans.

In ihm materialisiert sich die Heldenfrage gleich auf mehreren Ebenen. Seine Mutter hat ihn Artur genannt in Erinnerung an Artus, Lancelot und die Ritter der Tafelrunde.

Allerdings hat er wenig Heldenhaftes an sich, wie er da – zu gut gekleidet für die Gegend – gebeugt auf einer Parkbank sitzt und mit einem Zweig etwas in den Sand zu seinen Füßen kritzelt.

Das Vergänglichkeitsmotiv gleich auf der ersten Seite eines Romans lässt der Leserin nichts Gutes schwanen.

Potenzielle Heldentaten sind spärlich gesät

Tatsächlich erzählt Artur Charlotte, wie er vor wenigen Monaten seine Frau verlor und vom Herzinfarkt niedergestreckt wurde, und beides nur, weil er seinem Hund in ein Rapsfeld nachgelaufen war, um ihn vor dem Ersticken zu bewahren. Dies alles hat Artur Lanz dauerhaft ratlos gemacht. Und dennoch, zum ersten Mal fühlte er sich als Held:

Ich hatte etwas Unmögliches gewagt, ich hatte sogar mein Leben riskiert. Für einen Hund (…), weil ich ihn liebte. Ich hatte es geschafft, ich hatte ihn gerettet. Ich empfand nicht nur ein tiefes Glück, sondern etwas Unbeschreibliches, etwas sehr Großes. Und als ich so fühlte, dass es meinen ganzen Körper mit einem süßen Schmerz durchströmte, wusste ich, dass ich mich nach einem solchen Gefühl immer gesehnt hatte.

Artur Lanz‘ Problem ist nun, dass solche Heldentaten eben nicht wie in den mittelalterlichen Aventüren an jeder Weggabelung auf den tapferen Ritter warten.

Charlotte sucht nach der Antwort darauf, warum unsere Zeit mit Helden nichts mehr anfangen kann

Das hat ein paar lustige Pointen im weiteren Verlauf der Handlung zur Folge. In Charlotte Winter löst die Bekanntschaft mit Artur Lanz und der eigentümlichen Leerstelle in seinem Leben zweierlei aus.

Den vampirischen Instinkt, hier liege lohnender Erzählstoff bereit, und die eifrige Suche nach Antworten auf die Frage, warum unsere Zeit mit Helden so gar nichts mehr anfangen kann. Außer vielleicht in Gestalt der „Helden des Alltags“.

Fortan geistert diese Frage durch Charlottes Lektüren und Re-Lektüren von Brechts „Maßnahme“ und Fontanes „Stechlin“, wird in Gesprächen mit alten Freundinnen und Freunden zum immer neu umkreisten Grübelanlass.

Eine rabiate Gegenwartsdiagnose spickt den Roman mit satirischen Elementen

Die prekär gewordene Vorstellung vom Helden und vom Heldischen entwickelt sich zum Katalysator einer rabiaten Gegenwartsdiagnose. Die kleidet Maron auch in unverhohlen satirische Kabinettstückchen.

Autorin Monika Maron (Foto: Pressestelle, Jonas Maron)
Autorin Monika Maron

Etwa, wie eine Tischgesellschaft von Besserbürgern im linksliberal-akademischen Biotop einer Wilmersdorfer Sieben-Zimmer-Wohnung reagiert, als die Erzählerin Charlotte damit herausrückt, was sie gerade beschäftigt:

Charlotte: Über Helden, ich denke über Helden nach.
Penelope: Ach du lieber Gott!
Frau Müller-Hermsdorf: Wenn schon, dann Heldinnen.
Ulrike Zeisig: Bei Helden denke ich sofort an Krieg.
Eva: Ich sehe gerne Filme, in denen normale Familienväter plötzlich zu Helden werden, um ihre Familie zu retten. Das sind allerdings immer amerikanische Familienväter. (…)
So ging es eine Weile hin und her, bis Adam versuchte, die Diskussion in ernsthaftere Bahnen zu lenken. (…) Wir sind die Antikriegs-, Antiatom-, Antikolonial-, die antifaschistische Generation, die außerdem zu wenig Kinder in die Welt gesetzt hat. Wir sind eine durch und durch pazifizierte Gesellschaft, für die allein der Gedanke, das Leben einer Idee oder dem Vaterland zu opfern, eine Zumutung ist.

Stereotypen werden nahezu systematisch abgearbeitet

Die Heldenfrage taugt regelrecht zum „Brandbeschleuniger“, wie es einmal heißt.

Geradezu lustvoll breitet Maron aus, wie die Erzählerin und ihre älteste Freundin bei tequilaschwangeren Kneipenabenden dem zu Leibe rücken, was ihrer Meinung nach zurzeit katastrophal schiefläuft, mit den Männern, den Deutschen, den Frauen, dem Islam und überhaupt der ganzen Diskussion.

Im Unterschied zu diesen grimmig-fröhlich ausgetauschten Stereotypen geht es bei den weiteren Treffen mit Artur Lanz eher darum, die Perspektive einer alten Frau mit jahrzehntelanger Diktaturerfahrung und die eines Babyboomers im krisenhaften männlichen Klimakterium miteinander abzugleichen.

Artur kann sich doch noch als Held beweisen

Schließlich passiert dann doch etwas, das Artur Lanz die Gelegenheit zum Heldentum bietet.

Ein befreundeter Kollege äußert sich auf Facebook unbedacht energiewendekritisch, seine Formulierung vom „Grünen Reich“ wird von Rechten aufgegriffen, und unversehens findet sich der Mann in der Nazi-Ecke wieder.

Artur Lanz teilt nicht die Meinung des Freundes, aber in der hässlichen Auseinandersetzung im Kollegenkreis stellt er sich an seine Seite, beide verlassen ihr Institut mit vorzüglicher Entrüstung und landen wundersamerweise in offenkundig besseren Jobs in der Schweiz.

Monika Maron verliert in „Artur Lanz“ ihre Figuren aus dem Blick

Ein wirklich realistisches Stück Literatur ist „Artur Lanz“ also nicht, und es ist sicherlich nicht der stärkste Roman von Monika Maron.

Vor lauter streitbar vorgetragenen Thesen verliert sie nämlich leider ihre Figuren aus dem Blick. Vor allem der Titel-Held oder Antiheld Artur bleibt blässlich.

Und was ist nun mit Charlotte Winter und deren Ansichten über Geschlechterrollen, Klimawandel und Einwanderung? Sind die tatsächlich so rechtslastig, wie schon vor Erscheinen des Buchs gemunkelt wurde?

Der Roman offenbart ein Weltbild einer Frau, die die Welt nicht mehr versteht

Jedenfalls sind sie weitverbreitet unter den vielen Zeitgenossen, die sich als Diskurs-Verlierer in den heißlaufenden gesellschaftlichen Debatten unserer Tage erfahren.

Was sich hier offenbart, ist das Weltbild einer alten Frau, die die Welt nicht mehr versteht.

Immerhin erinnert Monika Marons Roman seine Leser an etwas fundamental Aufklärerisches: Den Gedanken nämlich, auch eine andere Meinung als die eigene habe das Recht zu existieren.

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Julia Schröder