Buchkritik

Matthias Politycki – Alles wird gut. Chronik eines vermeidbaren Todes

Stand
AUTOR/IN
Julia Schröder

Äthiopien im Frühjahr 2020, kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs in Tigray. Ein nicht mehr junger Hallodri aus Wien begegnet einer faszinierenden Frau mit vielen Geheimnissen. Es beginnt ein Road-Trip, der eine Flucht sein könnte oder eine Suche. Woher soll ein weißer Mann wissen, was ein Mann tun muss?

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Im Jahr 2010 verbrachte der Autor Matthias Politycki einen schönen Hamburger Sommertag mit dem Wiener Künstler Josef Trattner. Der hatte Politycki überredet, an einer Kunstaktion teilzunehmen, wobei es darum ging, dass die beiden ein rosafarbenes Schaumstoffsofa an mehr oder weniger geeigneten Stellen zwischen Speicherstadt und Övelgönne aufstellten und fotografierten. Das hätte sehr peinlich werden können, doch wie Politycki später berichtete, wurde es ein Tag voller Einsicht und Erkenntnis über Kunst und Leben.

Unterdessen ist Politycki, zutiefst entnervt von deutscher Genderei, selbst mit Aplomb nach Wien gezogen, und heute scheint die beiden gleichaltrigen Herren, Jahrgang 1955, eine Freundschaft zu verbinden, die einiges aushält. Zum Beispiel, dass der eine – Politycki – sich vom anderen – Trattner – den Namen für den rundherum zweifelhaften Helden seines neuen Romans ausgeliehen hat. Den Namen, dazu die Künstler-Existenz, den Wiener Schmäh und das gewinnende Aussehen mit halblangem, ergrauendem Blondhaar und attraktiven Fältchen:

„Josef Trattner, siebenundvierzig Jahre, eins achtundachtzig, fünfundachtzig Kilo, blaue Augen, gescheiterter Schaumstoffhallodri und geschasster Grabungsleiter mit Gold im Haar …“

Die Verheißung des schwarzen Kontinents

Die Grabung, bei der Polityckis Roman-Trattner geschasst worden ist, befindet sich allerdings nicht in Wien, sondern bei Addis Abeba – was, wie alles folgende in diesem Buch, komplett auf Polityckis poetischem Mist gewachsen sein dürfte. Josef Trattner, der die Grabungsleiter-Position zugeschanzt bekommen hatte, ohne einen Schimmer von Archäologie zu haben, verliert den angenehm lässigen Job, die Freundin in Wien setzt ihn vor die Tür, und er lässt sich von zwei einheimischen Mitarbeitern überreden, zum Abschied von Äthiopien eine Überlandtour in die von unterschiedlichen Stämmen bewohnten Gebiete im Norden des Landes zu unternehmen. Es ist das Jahr 2020, die Spannungen zwischen den Ethnien nehmen zu. Wo Trattner und seine Begleiter Weraxa und Mulugeta hingelangen, liegt der kommende Krieg in der Luft.

„,Da hinten rotten sie sich zusammen‘, ließ Weraxa unverhofft wissen (…) Er zeigte auf die Berge und meinte die Rebellen der tigrayischen Befreiungsfront. Trattner drehte sich demonstrativ von ihnen ab, für ihn war dies alles ein ausgetrockneter Garten Eden, Bild des Friedens und nicht etwa des Bürgerkriegs.“

Trattners Unwille wahrzunehmen, was sich zusammenbraut, hat – wie könnte es anders sein? – mit einer Frau zu tun: Natu, einer jungen Witwe aus einem Dorf der Suri. Bei diesem Stamm trinken die Männer vom Blut ihrer Rinder, und die erwachsenen Frauen tragen Holz- oder Keramikteller in Unterlippe und Ohrläppchen. Natu hat sich diesem Brauch verweigert, wie so vielem anderen, was in ihrem Volk gang und gäbe ist. Sie hat dafür einen hohen Preis gezahlt, wie sich herausstellt. Trattner begegnet ihr das erste Mal bei einer für ihn, den zahlenden Europäer, ausgerichteten Vorführung des traditionellen Lebens der Suri:

„Am Rand der letzten Reihe stand eine Frau, die ihn unverwandt anblickte, das Gesicht weiß bemalt, mit schwarzen Tupfen darauf wie das der Frau daneben. Die Partien um die Augen hatte sie mit Ocker bestrichen, das wie ein Rahmen um ihre dunklen Augenhöhlen lag. (…) Trattner konnte den Blick nicht von ihr wenden.“

Der Wiener Hallodri, gerade noch depressiv-desinteressiert, ist hin und weg. Natu sucht seine Nähe, will ihr Dorf und übergriffige Nachbarn hinter sich lassen, schließt sich der kleinen Männer-Reisegruppe sogar an, und es beginnt ein afrikanischer Road-Trip, bei dem von Anfang an und bis zum Schluss nicht recht klar ist, ob er Flucht ist oder Suche.

Nichts wird gut

„Alles wird gut“ ist der Titel des Romans. Tatsächlich wird nichts gut, nicht für Natu und Trattner und auch nicht für Äthiopien, wo die Nobelpreis-gekrönte Friedenshoffnung im blutigen Tigray-Konflikt untergeht.Den Untertitel „Chronik eines vermeidbaren Todes“ darf man wörtlich nehmen. Auch wenn am Ende sehr vieles, was Trattner und damit die Leserschaft zuvor über Natu und ihre Geschichte erfahren zu haben glauben, womöglich ganz anders gewesen sein könnte.

Matthias Politycki verbindet in diesem Buch, wieder einmal, drei große Themen: die Faszination der Fremde, das Rätsel Frau und die Frage, woher ein – weißer – Mann eigentlich wissen soll, was ein Mann tun muss. Eine von ihm bereits 2005 in seinem Voodoo-Kuba-Roman „Herr der Hörner“ servierte Melange, die allerdings vor dem Hintergrund gegenwärtiger Postkolonialismus- und Identitäts-Diskurse nicht mehr der reine Lesegenuss sein kann.

Provokation ist dem Autor wichtiger als Stringenz

Spätestens mit Natus Verschwinden wird aus dem Kleingruppen-Ausflug ein zunehmend einsames, ebenso rast- wie fruchtloses Hin und Her mit böser Pointe. Das erinnert dann vollends an Untergehergeschichten über weiße Männer in exotischen Gegenden aus der Feder angelsächsischer Autoren von Rudyard Kipling und Joseph Conrad bis Somerset Maugham und Evelyn Waugh, die zwar einen heute schwer erträglichen kolonialen Blick hatten, aber zugleich den Vorteil, brillante Bücher zu schreiben. Vieles macht denn auch den Eindruck, Politycki schreibe haarscharf am Tabubruch entlang.

Dementsprechend hat die Darstellung des Protagonisten und seiner Perspektive etwas Unentschiedenes: Mit den einheimischen Männern kumpelt, rauft oder säuft Trattner auf Augenhöhe, als wären sie Spezln aus Ottakring, die Frau, in die er sich verliebt hat, hingegen wird von ihm selbst und leider auch von der Erzählerstimme mystifiziert und überhöht zur Allegorie eines zerrissenen Landes. Polityckis Wahlheimat Wien ist im Roman von lauter Karikaturen schlamperter Wissenschaftsbeamter und frauenbewegter Frauen bevölkert, während Äthiopien als dunkel lockende Welt befremdlicher Sitten und großartiger Landschaften gezeichnet wird.

Ein Wechselbad von literarischer Qualität und plumpen Manierismen

Die Schilderungen dieser Landschaften gehören zu den Qualitäten des Romans, ebenso die immanente Ironie im Verlauf der Handlung. Ein wenig auf die Nerven gehen die Austriazismen, auf die der Autor besonders stolz scheint. Fragt man sich allerdings am Ende der Lektüre nach einem Fazit des Romans, bleibt, um den Titel eines Lyrik-Programms von Politycki abzuwandeln, wenig mehr als „Afrika. Naja. Schwierig“.

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