Buchkritik

Malla Nunn – Ist die Erde hart

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AUTOR/IN
Dina Netz

Adele, 16 Jahre alt, gehört zu den "Oberliga-Schülerinnen" an der Keziah Christian Academy, einem Internat für sogenannte Mischlingskinder im Swasiland der 1960er-Jahre. Dort herrscht eine strenge Rangordnung nach Reichtum und Herkunft. Als Adeles vermeintliche Freundinnen sie durch ein reicheres Mädchen ersetzen, erlebt sie den sozialen Abstieg und stellt ihre bisherigen Prinzipien in Frage. Eine bewegende Coming-of-Age-Geschichte, die die grundlegenden Themen Identität und Werte verhandelt.

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Swasiland 1965: Adele Joubert ist 16 und im vorletzten Schuljahr an der Keziah Christian Academy. In diesem Internat bündeln sich wie im Brennglas alle Konflikte des damaligen britischen Protektorats, das heute Eswatini heißt. Hier spielt Malla Nunns neuer Roman: An der Schule werden nur sogenannte "Mischlinge" unterrichtet, Kinder, die ein weißes und ein schwarzes Elternteil haben. Doch auch diese "Mischlinge" sind keine homogene Gruppe: Die Kinder reicher Eltern bekommen eine bessere Behandlung als die ärmerer Herkunft.

 Adeles Mutter ist schwarz und die Zweitfrau eines weißen Ingenieurs aus Johannesburg. Seine erste, weiße Familie darf nichts von Adeles Mutter und den Kindern wissen. Da Adele immer über ausreichend Geld, Lebensmittel und schicke Kleider verfügt, haben die "Oberliga-Mädchen" sie gnädig aufgenommen. Doch nach den Ferien muss Adele entsetzt feststellen, dass ein reicheres Mädchen, dessen Vater der Schule einen Generator spendiert hat, ihren Platz in der Gruppe eingenommen hat. Und nicht nur das: Die Neue bekommt auch ihr Bett, während Adele eine staubige Kammer zugewiesen wird, die als Spukzimmer gilt, seitdem eine Mitschülerin dort gestorben ist. Damit nicht genug, muss Adele sich das Zimmer auch noch mit Lottie Diamond teilen, dem Schrecken der Schule – einem bitterarmen Mädchen, das permanent die Regeln bricht. Wie zu erwarten, sind sich die brave Adele und die widerspenstige Lottie spinnefeind. Adele versucht mit aller Kraft, die Demütigung des sozialen Abstiegs wettzumachen und wieder in die Gruppe der "Hübschen" aufgenommen zu werden – mit dem Verhalten, das ihre Mutter ihr eingetrichtert hat: "Sei brav, hör auf deine Lehrerinnen und sorg für gute Noten." Doch je länger Adele mit Lottie zusammen ist, desto mehr Zweifel kommen ihr, ob sie mit ihrer bedingungslosen Akzeptanz der Regeln immer richtig liegt. Ist es nicht ungerecht, dass die armen Schülerinnen und Schüler in einer langen Schlange für gebrauchte Bücher anstehen müssen und danach mit Schlägen bestraft werden, weil sie zu spät zum Unterricht kommen? Dass die Armen beim Essen kleinere Portionen bekommen als die, deren Eltern reichlich Schulgeld zahlen? "So läuft das nun mal", kommentieren alle diese Zustände. Doch Adele gibt sich immer seltener mit fatalistischem Schulterzucken zufrieden.

 Lottie und Adele teilen zudem die Liebe zur Literatur und kommen sich über der gemeinsamen Lektüre von Charlotte Brontës "Jane Eyre" näher – eine Identifikationsfigur für die Mädchen. Adele beginnt zu begreifen, dass Lottie und sie sich gar nicht so unähnlich sind: Lotties Familie ist arm, weil der Vater gestorben ist. Welches Schicksal würde Adele blühen, wenn der Vater ihre Mutter verließe? Innerhalb nur eines Schulhalbjahres lässt Malla Nunn eine komplette Persönlichkeitsbildung ablaufen– ein Tempo, das sich auch durch die äußeren Ereignisse bedingt: Ein Feuer bricht aus, ein Schüler stirbt – existentielle Situationen, in denen Adele Mut beweist, Regeln bricht, zu ihren Entscheidungen steht und erfährt, dass Träume nicht zwangsläufig nur etwas für weiße Männer sind.

Aus dem Englischen von Else Laudan
Argument Verlag mit Ariadne, 304 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-86754-409-2

Malla Nunns Schilderungen des brutalen Apartheids-Alltags sind quälend. Mit umso mehr Wärme erzählt sie von den Mädchen und Frauen, die sich dem Unrechtssystem entgegenstemmen. Die Ich-Erzählerin Adele spricht treffend, bildreich und selbstironisch über ihre Erfahrungen. Else Laudan hat Malla Nunns Roman so flüssig ins Deutsche übertragen, dass er Adeles leisen Humor, ihre Klugheit und ihre inneren Kämpfe eindrücklich transportiert. Durch die dialogreiche, unkomplizierte Sprache kommt man der Protagonistin sehr nahe.

Der Romantitel "Ist die Erde hart" ist keine Frage, sondern der erste Teil des Lieblings-Sprichwortes von Adeles Mutter. Vollständig heißt es: "Ist die Erde hart, tanzen die Frauen." Eine Redewendung, die nicht ohne Grund den Titel gab. Denn Malla Nunn schreibt über die Kraft und die Würde nicht-weißer Frauen, die auch bei Androhung harter Strafen für Menschlichkeit einstehen und zusammenhalten. Mit "Ist die Erde hart" feiert Malla Nunn eine Zivilcourage, die es nicht nur im Swasiland der 60er-Jahre, sondern bis heute braucht.

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Dina Netz