„Mein Sternzeichen ist Wassermann und ich identifiziere mich damit“, sagt die feministische Comicautorin Liv Strömquist, die sich in ihrer neuen Graphic Novel dem Trendthema Astrologie widmet. Dennoch habe sie sich persönlich von dem Thema distanziert, sagt die Bestseller-Autorin in SWR2: „Es ist eine narzisstische Kultur.“
Kristine Harthauer: Ihr Sternzeichen ist Wassermann. Passt das zu Ihnen oder wären Sie gern ein anderes Sternzeichen?
Liv Strömquist: Ich bin wirklich ein Wassermann, ich identifiziere mich sehr damit. Das Sternzeichen Wassermann ist eine Mischung aus verrückt und Besserwisser. Der Motor eines Wassermanns ist „Ich weiß Bescheid“, das passt gut zu mir.
Mein Intellekt treibt mich mehr an als meine Gefühle. Ich interessiere mich für die Gesellschaft und dafür, wie man sie verändern kann, dazu habe ich viele Ideen, all das passt zum Wassermann.
Sternzeichen sind in, besonders bei Millennials. Woher kommt das Interesse?
Sternzeichen beantworten die Frage: Wer bin ich und wer bist du? Wir leben in einer Welt voller Schatten, voll mit Informationen. Wir haben kein kollektives Projekt und es gibt keinen gemeinsamen Sinn im Leben.
„Es gibt keinen gemeinsamen Sinn im Leben. Der einzige Sinn ist, das eigene Ich zu perfektionieren und mit Bedeutung zu füllen. Man klammert sich an die Astrologie. Es ist eine narzisstische Kultur.“
Der einzige Sinn ist, das eigene Ich zu perfektionieren oder besser zu verstehen und mit Bedeutung zu füllen. Es gibt eine Leere, also klammert man sich an die Astrologie. Das gibt einem einen Grund, über sich selbst zu sprechen. Es ist schon fast eine narzisstische Kultur.
Geben Horoskope Orientierung oder geht es nur darum, etwas über sich und das eigene Leben zu erfahren?
Astrologie gibt Sicherheit in unsicheren Zeiten. Der Soziologe Aris Komporozos-Athanasiou hat eine interessante Erklärung, er sagt: Wir leben in einer spekulativen Welt. In dieser Welt ist es schwer, vorauszusehen, was passieren wird. Junge Menschen könnten mit dieser ungewissen Welt am besten umgehen, wenn sie selbst anfangen, zu spekulieren.
Wenn dir deine Horoskop-App eine Vorhersage für deinen Tag schickt, dann ist das genauso plausibel wie ein Rat von deinen Eltern. Die wissen nämlich auch nicht vielmehr über die Zukunft.

In Ihrem Comic kommt Adorno vor. Auch er hat sich mit Astrologie auseinander gesetzt. Was war seine überraschendste Erkenntnis?
Dass Astrologie nicht irrational oder mystisch ist. Adorno hat Horoskope in Zeitungen analysiert. Als er die ganzen Ratschläge darin gelesen hat, ist ihm klar geworden, dass das wenig gemeinsam hat mit Menschen, die an Geister glauben.
„Am Anfang fand ich es witzig, Menschen nach ihren Sternzeichen zu beschreiben. Aber dann fing ich an, voreingenommen gegenüber bestimmten Menschen zu sein. Das ist schlimm.“
Horoskope haben nichts Okkultes an sich, weil die Ratschläge darin auf eine fast schon parodistische Weise normal sind. Sie sind sozusagen die Essenz eines total klischeehaften Ratschlags, den man jedem geben kann. Sowas wie: Sei heute du selbst. Oder: Folge deinen Träumen.
Es sind wirklich vernünftige und überhaupt nicht seltsame Ratschläge. Das Paradoxe ist, dass sie ja auf einer irrationalen, verrückten Basis beruhen. Aber der Inhalt an sich ist fast schon übertrieben vernünftig.
Sie sagten, es sei narzisstisch, sich lange für sein eigenes Sternzeichen zu interessieren. Welche Gefahr sehen Sie darin?
Ein Problem habe ich selbst bemerkt, als ich mich sehr für Astrologie interessierte. Am Anfang fand ich es witzig, Menschen nach ihren Sternzeichen zu beschreiben. Aber dann fing ich an, voreingenommen gegenüber bestimmten Menschen zu sein.
„Mein neuer Comic ist auch eine Satire über die Menschen von heute.“
Das ist schlimm. Das ist gegen jede fortschrittliche Idee, dass man Menschen in Kategorien einteilt und sagt: Diese Kategorie ist so und diese ist so. Das andere Problem ist das „Magische Denken“, das zu psychischen Problemen führen kann. Zum Beispiel, wenn man Horoskope liest, um sich zu beruhigen, weil darin steht: „Du solltest das und das heute vermeiden“. Das kann zu zwanghaftem Verhalten führen, auch wenn du weißt, dass es irrational ist.
Haben Sie die Horoskop-Apps von Ihrem Handy gelöscht?
Ja, wie ich schon sagte: Ich war besessen von Astrologie, aber dann habe ich damit aufgehört, weil ich gemerkt habe, dass es kein Witz ist, dass ich Vorurteile gegenüber anderen hatte. Mein neuer Comic über Sternzeichen ist für mich auch eine Satire über die Menschen von heute.
Ich habe das Buch gemacht und danach nicht mehr über Astrologie nachgedacht, ich interessiere mich heute auch nicht mehr dafür. Ich weiß aber nicht, ob ich irgendwann rückfällig werde.
Besser nicht!
Ja, besser nicht.
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