SWR2 Buch der Woche am 25.01.2016

Woran die Arabellion gescheitert ist

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Wolfram Wessels im Gespräch mit Julia Gerlach

Woran die Arabellion gescheitert ist

Fünf Jahre nach dem Beginn der Revolte in den arabischen Ländern zieht die langjährige Nahost-Korrespondentin Julia Gerlach Bilanz. Immer wieder hat sie Aktivisten, Islamisten, Politiker und ganz normale Bürger in diesen Jahren befragt und deren Entwicklung verfolgt. Entstanden ist eine beeindruckende Geschichte der Arabellion, die zeigt, dass deren Protagonisten trotz ihres Scheiterns nicht ganz ohne Hoffnung sind.

Wolfram Wessels im Gespräch mit Julia Gerlach

Wolfram Wessels: Derzeit steht Syrien im Fokus der Aufmerksamkeit und man kann sich kaum noch erinnern wie der Krieg – und von einem solchen muss man mittlerweile ja wohl sprechen – anfing. Es begann 2011, fünf Jahre ist das her, im Jahr der Hoffnung, des Aufbruchs, des Arabischen Frühlings, der "Arabellion". Inzwischen gelten die Revolten als weitgehend gescheitert. In Ägypten herrscht wieder das Militär, in Libyen herrscht Chaos, im Jemen und Syrien ein Krieg. Allein Tunesien scheint es geschafft zu haben, doch sind Terroristen dabei, das Erreichte zu gefährden.

Die Journalistin Julia Gerlach hat sieben Jahre lang für diverse deutsche Medien aus diesen Ländern berichtet, gelebt hat sie in Kairo, und deshalb das Geschehen dort besonders genau und intensiv wahrgenommen. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland, im vergangenen Herbst, zieht sie eine Bilanz: "Der verpasste Frühling", das klingt fast ein bisschen harmlos, wo es doch um ein krachendes Scheitern geht, wie auch der Untertitel andeutet. Warum und worauf bezieht sich das "verpasst"?

Julia Gerlach: Der Titel "Der verpasste Frühling" bezieht sich darauf, wie Sie auch schon angedeutet haben, dass es diese große Hoffnung und diese Chance gab 2011, wo wir alle das Gefühl hatten: Jetzt wird das wahr, was man immer für unmöglich gehalten hat, nämlich dass die arabische Welt auch in Richtung Demokratie strebt. Dann ist das gescheitert. Aber der Ausdruck "Der verpasste Frühling" soll eben auch andeuten, dass es vielleicht beim nächsten Mal klappen könnte, dass es nicht für immer gescheitert ist.

Und das ist auch das Fazit aus den vielen Gesprächen, die ich geführt habe mit Aktivisten, die sich jetzt natürlich die Frage gefallen lassen müssen, ob sie bereuen, dass sie das damals angefangen haben, angesichts von Kriegen, Zerstörung, Bürgerkriegen, die diese Regionen seitdem befallen haben. Aber viele von denen sagen, dass sie es nicht bereuen: "Je ne regrette rien", wie Edith Piaf gesagt hat, und sagen: okay, wir haben den ersten Schritt gemacht und beim nächsten Mal werden wir den Frühling nicht verpassen, nächstes Mal werden wir es schaffen.

Die Autorin Julia Gerlach (Foto: Ch. Links Verlag  -)
Die Autorin Julia Gerlach

Woran lag es denn, dass diese Chance eines Aufbruchs, einer neuen Demokratie, verpasst wurde?

Da werden viele Themen angesprochen, es werden viele Schuldige gesucht. Man sagt, dass die Aktivisten es zwar geschafft haben die Leute auf die Straßen zu bringen, aber dass sie nicht in der Lage waren sich drauf zu einigen wie's hinterher weitergehen soll. Man sagt, dass die Islamisten, also die Muslimbruderschaft und die anderen, diesen Frühling gekidnappt haben, sich an die Spitze gestellt haben und nur an ihre eigene Macht gedacht haben, um vorwärts zu kommen. Aber ich glaube, wenn man sich das alles noch mal aus der Perspektive von heute anschaut, ist klar, dass diese Regime, die sich seit 50, 60 Jahren eingenistet und festgesetzt haben, die sehr, sehr stabil und mächtig sind, dass die einfach zu stark waren, um von einer solchen Welle gestürzt zu werden. Das braucht mehr.

Es ist ja auch die Rede davon, dass diese Regime, diese Machtstrukturen sich durch die Rebellion unliebsamer Personen entledigt hätten. Könnte man dahinter auch eine Strategie vermuten, dass diese Rebellion eine Inszenierung war?

Ich glaube nicht, dass es eine Inszenierung war. Im Nachhinein wurde es von den Regimen als Schwäche gesehen, dass die Menschen so einen Aufstand hinbekommen haben – beispielsweise in Ägypten, dass Mubarak es zugelassen hat, dass die Opposition 2010 so stark geworden ist.

Aber die Regime haben in dem Moment, als die Leute auf die Straße gingen und klar war, dass man das nicht so leicht niederschlagen kann, sich an die Spitze gestellt. Dadurch haben sie unglaublich viele Sympathien in der Bevölkerung gekriegt, gerade der Hohe Rat des Militärs ist sehr, sehr populär geworden. Und sie sind auf die Art Mubarak losgeworden, der ihnen langsam anfing, zur Last zu fallen. Und sie haben dadurch ihr Regime erneuern können.

Und das kann man in den anderen Ländern auch so sehen. Im Jemen ist jetzt wieder Ali Abdullah Saleh als Gesprächspartner möglich und es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass beispielsweise sein Sohn an die Macht zurückkehrt.

Sie konzentrieren sich im Wesentlichen auf Ägypten, das kennen Sie am besten, die anderen Länder werden in Ihrem Buch eher nur gestreift. Wenn Sie jetzt von den Vorgängen dort sprechen, sind Sie mal Zeitzeugin, mal sind Sie aber auch die Historikerin. Welche Rolle liegt Ihnen mehr?

Ich glaube, es ist diese Mischung. Das Buch ist ja auf der Grundlage von großen Interviewreihen mit Leuten entstanden – die ich 2011 zum Teil auf dem Tahrir-Platz oder im Umfeld oder auch in den anderen Ländern kennen gelernt habe – , die ich dann im Zuge der Berichterstattung über die Revolten immer wieder getroffen habe.

Zum Teil haben die dann gesagt: "Ja, was willst du denn jetzt schon wieder von mir? Ist doch gar nichts passiert." Aber ich wollte immer wieder Updates haben. Diese Interviews habe ich zu diesem Buch zusammengefügt. Ich habe dann aber festgestellt, dass man diesen Wandel in den Meinungen, in den Aussagen, dass sich plötzlich die Perspektive von Personen auf das Geschehen grundsätzlich ändert, dass man das eben nur verstehen kann, wenn man das auch historisch und politisch einordnet.

Wie haben Sie denn ihre Protagonisten ausgewählt, war das Zufall oder haben Sie bewusst gesagt: ich brauche jetzt jemanden, der eigentlich für das alte Regime ist und jemanden, der dagegen ist?

Ehrlich gesagt ist das zufällig entstanden, weil das eben Leute sind, die ich interessant fand zu dem Zeitpunkt und dann gedacht habe: ach, die verfolge ist jetzt mal und gucke, was aus denen geworden ist. Als ich das Buch geschrieben habe, habe ich mir die rausgesucht, die am besten passten, um eben auch die Spannbreite abzudecken.

Und so ähnlich ist das mit den Geschichten aus den anderen Ländern, also Syrien, Libyen. Da habe ich mich bei den Reisen bemüht, immer wieder die gleichen Leute zu treffen. Wenn man ein paar Monate weg war und die gleiche Person wieder trifft, kann man am ehesten einschätzen, was sich wirklich verändert hat. Das war auch in der Situation der Berichterstattung praktisch und natürlich hinterher, um das Buch zusammenzusetzen, um diese Achterbahnfahrt zu beschreiben, die die Menschen durchgemacht haben in den letzten fünf Jahren.

Wie ist der Zustand jetzt, war denn tatsächlich alles umsonst? Ist wirklich alles verpasst? Sie haben ja gesagt, es gibt die Hoffnung, dass vielleicht irgendwann ein neuer Frühling kommt. Es schimmert manchmal so ein bisschen durch, dass doch eine Veränderung der Zivilgesellschaft stattgefunden hat.

Ich glaube, im Moment ist es verfrüht, von ersten Anzeichen dafür zu sprechen, dass sich da wieder was tun kann. Aber alle, die sich mit dem Thema beschäftigen, sind sich einig, dass die Menschen zumindest mal gefühlt haben, wie sich Freiheit anfühlt und wie sich der Gedanke anfühlt, dass man vielleicht in Zukunft demokratischere und freiere und vor allen Dingen gerechtere Zustände haben kann. Das wird dazu führen, dass diese Ideen irgendwann wieder rauskommen.

Im Moment ist die Idee von Freiheit und Demokratie bei vielen Menschen negativ besetzt, weil sie sagen: Diese Ideen haben uns nur Chaos und Krieg gebracht. Aber das kann sich in fünf, vielleicht in zehn Jahren wieder ändern. Vielleicht stellen die Leute dann fest: Okay, da war was, wohin wir zurückwollen und was wir jetzt noch mal probieren wollen.

Viele vergleichen das mit der Entstehung von demokratischen Strukturen hier in Europa, wo es ja auch mehr als 100 Jahre gedauert hat, bis tatsächlich verwirklicht wurde, was in den Tagen der Französischen Revolution gedacht wurde. Bei vielen jungen Leuten in Tunesien, in Ägypten ist dieses Bedürfnis da, etwas zu verändern, also die konkrete Umwelt ein bisschen zu verändern.

Beispielweise in Ägypten ist es jetzt extrem angesagt, Fahrrad zu fahren und sich gesund zu ernähren, was für die Umwelt zu tun. Also weg von der Politik, aber im kleinen Bereich ein bisschen Alternativkultur aufzubauen, sich eine Nische aufzubauen. Es gibt die Erkenntnis, dass es nicht geklappt hat, von oben das System zu verändern. Jetzt muss man versuchen von unten zu verändern: erst die Gesellschaft und dann dadurch Schritt für Schritt auch die politischen Systeme.

Die nächste Revolution wird eine Graswurzel-Revolution sein.

Ja, hoffentlich.

Wie genau kann ein Blick einer ausländischen Journalistin sein, wie nah kommen Sie an die Menschen dort tatsächlich heran? Hatten Sie denn den Eindruck, die haben Ihnen wirklich immer die Wahrheit erzählt?

Das hängt sehr stark davon ab, zu welcher Zeit das war und wer das war. Es gab Zeiten, 2011 beispielsweise, wo ich das Gefühl hatte, ich bin sehr dicht dran und die Leute erzählen mir viel. Es gab Zeiten, 2013, als in Ägypten Mohammed Mursi, der gewählte Präsident, abgesetzt wurde und der Konflikt zwischen Islamisten und Liberalen extrem hart wurde, wo ich das Gefühl hatte, dass nicht mal meine Freunde mehr ordentlich mit mir reden, weil eine Distanz zwischen uns getreten ist, aus der Politik heraus, die dazu geführt hat, dass wir nicht mehr richtig befreundet sein konnten.

Man kann, wenn man lange da ist, wenn man die Sprache spricht, wenn man Freunde hat, dann kann man nachfühlen, wie die Menschen mit der Situation umgehen und man kann einschätzen, ob das, was die Leute gerade sagen, die Wahrheit oder ihre wirkliche Meinung ist oder nicht. Aber, Sie haben recht, das ist nicht immer ganz einfach.

Wollen Sie denn noch mal hinfahren?

Na klar. Seit ich umgezogen bin, war ich schon wieder zweimal da und fahre jetzt auch übernächste Woche wieder. Ich habe einfach gute Freunde da. Und Ägypten ist nach wie vor eins meiner Lieblingsländer, so ähnlich wie Tunesien oder in den Libanon fahre ich auch sehr gerne.

Dann sind wir gespannt, was Sie demnächst berichten.

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Wolfram Wessels im Gespräch mit Julia Gerlach